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Foto: Lukas Gedziorowski
Foto: Lukas Gedziorowski

Winterspeisung in der Diakoniekirche

Satt für 50 Cent

Bei der Winterspeisung in der Weißfrauen Diakoniekirche können Bedürftige für 50 Cent nicht nur eine warme Mahlzeit bekommen, sondern auch ein wenig Wärme und Gesellschaft finden. Nicht nur Obdachlose gehören zu den Kunden.
Dienstag, kurz nach 12 Uhr in der Weißfrauen Diakoniekirche. Kaum hat Pfarrer Lars Kessner seine kurze Andacht mit Gesangseinlage beendet, erstürmen die Männer und Frauen, die bisher brav an ihren Tischen gesessen haben, die Essensausgabe. Es gibt Lasagne mit Brot. Die meisten in der Schlange sehen gepflegt aus, nur manche tragen abgenutzte Kleidung, einer hat Sandalen an den Füßen.

Trotz des Andrangs geht es gesittet zu. Einmal gibt es eine kleine Diskussion darum, wer zuerst angestanden hatte, dann beschwert sich ein Mann beim Pfarrer über eine zu kleine Portion. Sonst bleibt es ruhig. Nach etwa zehn Minuten sind alle versorgt. Später gibt es noch Nachschlag. Übrig bleibt bei der Winterspeisung nichts. Gar nichts? Nein, selbst der Kuchen, die Pakete mit den belegten Brötchen und die Beutel mit den Schmalzstullen – alles finde Abnehmer, sagt der Rentner Helmut Retz, der seit 1997 bei der Speisung mithilft.

Die Menschen – arme Rentner, Hartz IV-Empfänger und Obdachlose – sind hungrig. Für 50 Cent bekommen sie in der Diakoniekirche eine warme Mahlzeit und etwas für unterwegs, auch Obst. Den ganzen Februar über. Die Gemeinde lässt sich das 30.000 bis 35.000 Euro kosten, finanziert aus Spenden. Die 50 Cent, die am Eingang für eine Essensmarke verlangt werden, sind nicht dazu da, die Kosten zu decken. Es gehe darum, den Menschen ihre Würde zu geben, sagt Retz. „Wir wollen keinen vom Leben ausschließen.“ Aber falls jemandem selbst dieses Geld fehlt, um zu bezahlen, hat Retz immer ein paar Essensmarken in seiner Schürze. Wenn er in "diese leeren Augen" gucke, könne er nicht anders, sagt er.

Einer der Kunden, Günther, findet es allerdings gar nicht gut, dass er bezahlen muss. „Die Hoffnungsgemeinde ist drei Mal so reich wie die der Katharinenkirche!“, schimpft der 69-Jährige. Trotzdem kommt er gerne her. „Ich bin Einzelgänger, aber wenn ich zu Hause koche, schmeckt's nicht, ich habe keinen Appetit und ich schmeiße es nur weg“, sagt er. „Nur wenn ich anderen Leuten beim Essen zusehe, schmeckt's gut.“ Günther wohnt im Nordend. Als Kind war er in Erziehungsheimen, hat dort – wie er sagt – „mehr Schläge als was zu fressen gekriegt“, das sei die Vorstufe zum Zuchthaus gewesen, wo er später landete. Weshalb, will er nicht erzählen. „Das spielt keine Rolle“, sagt er. „Das ist Vergangenheit. Nur was jetzt ist, ist wichtig.“

Sechs bis acht Helfer teilen das Essen und heiße Getränke aus. An diesem Dienstag sind es Mitarbeiter der Deutschen Bank, die hier ihren Social Day verbringen. Frauen aus der Evangelischen Hoffnungsgemeinde schmieren die Brötchen. Pro Tag kommen etwa 200 Menschen zum Essen; bei der Eröffnung am Sonntag, als der Schlagersänger Bata Illic für die Klangkulisse sorgte, sollen es sogar 300 gewesen sein, sagt Pfarrer Kessner. Das Essen ist abwechslungsreich: Es gibt zum Beispiel Schnitzel, Lachs, Chili con Carne und Eintöpfe. Der Speiseplan wird nicht veröffentlicht, damit einige wählerische Kunden, nicht von vornherein fern bleiben.

Auch Andreas [Name von der Redaktion geändert] hilft bei der Winterspeisung mit. „Hier gibt es einen großen Zusammenhalt“, sagt er. In der Diakoniekirche gefällt es dem 46-Jährigen auch besser als etwa bei dem Gänseessen im Römer. „Es ist zwar schön und gut, was die Stadt macht, aber ich habe mich von den Medien überfrachtet gefühlt.“ Er schlägt vor, dass die Stadt auch mal Fußballspiele für Obdachlose öffnen soll. Im Gegensatz zu Günther findet er es gut, dass das Essen 50 Cent kostet. „So ist das ein Geben und Nehmen, es gibt den Menschen Würde“, sagt er.

Andreas hat drei Jahre lang nach seiner Ausbildung als Altenpfleger gearbeitet, dann habe ihn die psychische Belastung „aus der Bahn geworfen“ und seitdem sei er arbeitslos, erledigt Ein-Euro-Jobs. Seine Aufgaben finde er „sehr spannend“, da er dabei verschiedene Leute kennen lernen und sich als „normaler Arbeiter“ fühlen könne. „Denn 'Ein-Euro-Jobber' klingt sehr erniedrigend“, sagt er. Dennoch leide er unter dem psychischen Druck, den man im Jobcenter bei ihm ausübe; daher lasse er sich zu den Terminen von Freunden begleiten, die ihn unterstützen. Einmal war er für kurze Zeit obdachlos, nachdem er seine Wohnung verloren hat. Aber Freunde hätten ihn davor bewahrt, auf der Straße schlafen zu müssen.

Das Mittagessen ist so schnell aufgegessen wie ausgeteilt. Manche holen sich einen Nachschlag. Christian, ein Mann mit schulterlangen schwarzen Haaren, hat die Lasagne in der Katharinenkirche zwar besser geschmeckt, auch den Eintopf am Tag zuvor fand er nicht so lecker, aber im Allgemeinen sei er zufrieden, sagt er. In der Diakoniekirche könne er am Nachmittag in Ruhe Zeitung lesen: Die Frankfurter Allgemeine, die Neue Presse, manchmal auch die Rundschau. Seit zwei Jahren lebt der 52-Jährige KfZ-Mechaniker auf der Straße, seit er wegen eines Streits mit den Nachbarn aus seiner Wohnung geworfen wurde. Im Winter schläft er in der B-Ebene der Hauptwache. „Dort ist es meist ruhig“, sagt er. Angst habe er keine, noch nie sei er angegriffen worden, nur einmal habe man ihm eine Weste gestohlen.

Christian lebt vom Flaschensammeln. Zwei bis drei Euro verdient er so pro Tag, Sozialleistungen bezieht er nicht. „Aber ich weiß, wo es kostenlos was zu essen gibt“, sagt er. In Nied gibt es eine Stelle, auch in Offenbach. Hungern müsse man als Obdachloser nicht, das sagen auch andere. Wenn es nachts wärmer ist, verbringt Christian die Nacht in Häusernischen. Allerdings, berichtet er, werde man immer öfter von dort verjagt. Auch am Flughafen sei man seit kurzem unnachgiebiger, wenn man sich dort aufhält, aber kein Flugticket vorzuweisen hat. Was er an der Obdachlosigkeit vermisse? „Das Fernsehen“, sagt er. „Mal einen Film schauen, und sei es auch nur zwei Stunden in der Woche.“ Nun will er sich vor Gericht darum bemühen, in seine Wohnung zurück zu dürfen. Er hält seine Chancen für gut.

Ein Spätankömmling bei der Winterspeisung ist Carl Maria Schulte. Obwohl auch anderswo Plätze frei sind, setzt er sich mit seinem Teller Lasagne an den Tisch fürs Personal. Der selbsternannte Bürgerrechtler und Künstler hat schon versucht, Oberbürgermeister und Bundespräsident zu werden, aber bisher hat es noch nicht geklappt. „Wir leben weder in einer Demokratie noch in einem Rechtsstaat“, sagt Schulte. Nun beschäftigt er sich mit vier Verfahren, die er beim Bundesverfassungsgericht laufen hat. Er fordert eine Grundgesetzreform, mehr direkte Demokratie und ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1200 Euro. Den Betrag, den er von seiner Rente und Grundsicherung bekommt, hält er für zu gering.

Darüber hinaus ist Schulte wegen Körperverletzung angeklagt. Im Juni 2013 hat er im Römer Frankfurts Protokollchef Karl-Heinz Voss angegriffen, im Dezember wurde er vom Amtsgericht verurteilt. Aber Schulte versucht jetzt, vor dem Landgericht Recht zu bekommen, plädiert auf Putativnotwehr, das heißt, er sei damals im Römer von einem vermeintlichen Angriff ausgegangen. Sich selbst bezeichnet er als friedlich.
 
11. Februar 2015, 11.00 Uhr
Lukas Gedziorowski
 
 
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