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Foto: J&J Photography
Foto: J&J Photography

Im Gespräch mit Ben Salomo

„Gegen Antisemitismus geht niemand auf die Straße“

Der jüdische Rapper Ben Salomo hat vor kurzem das Buch „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens“ veröffentlicht. Im Gespräch mit dem JOURNAL FRANKFURT hat er über Antisemitismus in der Deutschrap-Szene und seinen Alltag als Jude in Deutschland gesprochen.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Salomo, In Ihrem Buch sprechen Sie über ihr Leben als Jude in Deutschland. Wie erleben Sie den Alltag als Jude in Deutschland?

Ben Salomo: Das hängt ganz davon ab, wo ich mich bewege. Es gibt sehr viele unterschiedliche Gegenden, selbst innerhalb Berlins, wo ich wohne, und dementsprechend unterschiedliche Reaktionen. Zum Beispiel würde ich nicht mit Kippa durch Neukölln oder Wedding laufen – das sind „No-Go-Areas“. Dort gibt es viele Menschen, die derartige Symbole als Anlass sehen könnten, jemanden anzugreifen. Das ist ja auch schon geschehen.

Dadurch, dass ich erwachsen bin, kann ich mir meine Umgebung aussuchen – anders als beispielsweise zu Schulzeiten. Die meisten Anfeindungen bekomme ich inzwischen über die sozialen Netzwerke. Ich ziehe Anfeindungen auf mich, weil ich mich als Jude bekenne und Solidarität zu Israel bekunde. Aber auch zufällige Anfeindungen kommen vor. Neulich hat meine Tochter beispielsweise eine kleine Israel-Flagge in ihrer jüdischen Kita bekommen, weil es der israelische Unabhängigkeitstag war. Als meine Frau sie abgeholt hat, haben Jugendliche einer nahegelegenen Schule, die ihnen entgegenkamen, provokant laute Brechreizgeräusche gemacht, als sie das Israel-Fähnchen gesehen haben – das war mitten in Charlottenburg.

Ich bin aber auch Anlaufstelle für Jugendliche, die beleidigt oder angegriffen wurden. Die betroffenen Jugendlichen fühlen sich oft allein gelassen. Das, was denen heute passiert, ist mir schon vor 30 Jahren widerfahren.

Was haben Sie in Ihrer Kindheit erlebt?

Wegen meines jüdischen Vornamens und meines südländischen Aussehens, bin ich für einige relativ leicht als Jude zu identifizieren gewesen. Ich habe mich nie versteckt, wenn mich jemand gefragt hat, habe ich immer dazu gestanden und gesagt, dass ich Jude bin. Dadurch wurde ich immer wieder Opfer von judenfeindlichen Angriffen, zunächst verbal, aber es gab auch immer wieder Versuche, mich körperlich anzugreifen. Bei den Lehrerinnen und Lehrern habe ich diesbezüglich immer wieder eine gewisse Überforderung bis hin zu Gleichgültigkeit erlebt. Deshalb halte ich Aufklärungsarbeit für ganz wichtig: Zunächst muss man erforschen, aus welcher Richtung die Anfeindungen kommen. Kommen sie von rechts, links oder islamistischer Seite? Wenn man das definiert hat, kann man Prävention betreiben. Wir müssen antisemitischen Denkmustern lautstark widersprechen, ein Gegennarrativ bereithalten. Durch die Gleichgültigkeit in der Gesellschaft kann der Antisemitismus ungehindert anwachsen.

Aus welcher Richtung kommt der Antisemitismus denn?

Anfeindungen kommen aus allen Richtungen. Wie gesagt, unterscheidet sich das von Region zu Region. Im Osten gibt es beispielsweise mehr Anfeindungen von rechtsextremer Seite. In den Ballungszentren und großen Städten gibt es in der Regel eine größere migrantische beziehungsweise muslimische Community, weshalb die Berührungspunkte mit dem islamischen Antisemitismus dort größer sind. Hinzu kommt der Antisemitismus im Deckmantel der überfokussierten Israelkritik, der besonders in linken Kreisen und der Mitte der Gesellschaft vorzufinden ist.

Nimmt der Antisemitismus in Deutschland zu?

Ja, der Antisemitismus nimmt zu. Wir haben inzwischen viele Multiplikatoren, beispielsweise Rapper, reichweitestarke Verschwörungstheoretiker oder Menschen in der Politik (Stichwort AfD), durch die immer weiter reichende Tabubrüche getätigt werden. Durch sie werden antisemitische Denkmuster und Ideologien in Teilen der Bevölkerung kultiviert. Sie wirken wie Brandbeschleuniger. Der Judenhass nimmt dadurch zu.

Haben Sie Angst als Jude in Deutschland?

Ich habe Angst um die Zukunft meiner Tochter und um das jüdische Leben in Deutschland im Allgemeinen. Deutschland driftet momentan in die Richtung, in der sich Frankreich bereits befindet. In Frankreich gab es bereits etliche Morde an Jüdinnen und Juden und Anschläge auf jüdische Einrichtungen. In Deutschland nehme ich eine ähnliche Entwicklung wahr, weil man eine wachsende Radikalisierung und Gewaltbereitschaft unter den oben genannten Extremisten beobachten kann.

Denken Sie darüber nach, Deutschland zu verlassen?

Den Gedanken, Deutschland irgendwann den Rücken zu kehren, habe ich schon seit vielen Jahren, doch ich schiebe ihn immer wieder auf und versuche, dagegen anzukämpfen. Allerdings werde ich nicht warten, bis irgendwann der erste antisemitische Mordanschlag passiert. Wenn sich in den nächsten Jahren nichts zum Positiven ändert, werden viele Jüdinnen und Juden die Konsequenzen ziehen.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat vor zwei Wochen öffentlich Jüdinnen und Juden geraten, sich nicht überall in Deutschland mit einer Kippa zu zeigen. Welche Auswirkungen hat diese Aussage Ihrer Meinung nach für die Jüdinnen und Juden in Deutschland?

Das ist eine Aussage mit zwei Stoßrichtungen: Zum einen soll sie die deutsche Gesellschaft wachrütteln und einen Ruck erzeugen. Die Wirkung ist meiner Meinung nach aber fraglich. Auf der anderen Seite ist es eine klare Aussage gegenüber Jüdinnen und Juden: Entweder sie bereiten sich auf unangenehme Zeiten vor oder sie verlassen das Land gegebenenfalls.

Da muss man sich fragen: Haben Jüdinnen und Juden in Deutschland überhaupt eine Zukunft? Um diese Frage mit einem Ja zu beantworten, müsste ein Wunder geschehen. Momentan sehe ich in der deutschen Gesellschaft nur Achselzucken und Gleichgültigkeit. Gegen Antisemitismus geht niemand auf die Straße. Das ist so schon einmal passiert in der deutschen Geschichte. Das wird sich natürlich nicht Eins zu Eins wiederholen, aber die Parallelen kann man nicht von der Hand weisen. Nur ist das Problem heute noch viel komplexer, weil der Antisemitismus aus vielen unterschiedlichen Richtungen kommt.

Werden Sie in der Deutschrap-Szene mit antisemitischen Anfeindungen konfrontiert?

In der Deutschrap-Szene sind antisemitische Denkstrukturen sehr weit verbreitet. Diejenigen, die diese Ressentiments nicht teilen, trauen sich aber leider nicht, öffentlich Stellung zu beziehen und sich dementsprechend zu artikulieren. Sie werden dadurch zur Schwungmasse, also zu Mitläufern und dadurch zum Teil des Problems. Insbesondere die Rap-Medien nehmen durch ihre Passivität in der Angelegenheit eine sehr zweifelhafte Haltung ein.

Sie haben Ihre erfolgreiche Battle-Rap-Reihe „Rap am Mittwoch“ auf Youtube im Mai 2018 aufgegeben, als Grund nannten Sie die steigenden antisemitischen Tendenzen im Deutschrap. Auslöser war die Echo-Preisverleihung, bei der Kollegah und Farid Bang ausgezeichnet wurden. Damals war für Sie also eine gewisse Grenze erreicht?

Die Entscheidung habe ich bereits ein halbes Jahr früher getroffen, durch die Echos kam es erst an die Öffentlichkeit. Man würde niemals jemandem, der offensichtlich rechtsradikal ist, einen Echo verleihen. Aber in der Rapszene wird da nicht so genau hingeschaut. Ich bin glücklich, dass ich der Szene den Rücken gekehrt habe. Mit einer Szene, die in ihren Narrativen und Ideologien so viele Gemeinsamkeiten mit der Rechtsrock-Szene hat und diese auch reproduziert, möchte ich nichts zu tun haben.

Hat sich mit der Echo-Debatte etwas im deutschen Rap verändert?

Es ist noch schlimmer geworden. Die Szene hat sich ja geschlossen hinter Kollegah gestellt. Inzwischen erlauben sich auch kleinere Figuren solche Tabubrüche, weil sie sehen, dass die Großen keine gravierenden Konsequenzen erleiden mussten. Dadurch ist die Rapszene inzwischen noch viel verlorener als vorher.

Welchen Einfluss nimmt die Rapszene auf die oft jungen Hörer Ihrer Meinung nach?

Sie nimmt einen fatalen Einfluss, viele dieser Rapper sind regelrechte geistige Brandstifter. Durch ihre reichweitestarken Songs und Interviews, in denen sie sich oftmals sehr problematisch artikulieren, verbreiten sie Narrative, die später sehr schwer aus den Köpfen der Jugendlichen wieder herausrauszubekommen sind.

Was muss sich in der Szene ändern?

Als erstes wäre es wichtig, dass die schweigende Opposition innerhalb der Rapszene und die Rap-Medien sich endlich trauen, diesen antisemitischen Narrativen und Verschwörungsmythen zu widersprechen. Die Veränderung muss von innen herauskommen. Aber auch Druck von außen kann helfen: Man muss immer wieder aufgreifen, was da gesagt und gerappt wird. Die Rapszene ist ein für Drogensüchtige, Kriminelle und Menschen mit islamistischen, linksextremen und rechtsextremen Ansichten. Das sollte insbesondere den Eltern jener Kinder und Jugendlichen, die diese Musik hören, ein Alarmsignal sein. Langfristig wird es notwendig sein, dass sich der Gesetzgeber damit auseinandersetzt.

Was muss getan werden, damit sich Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder sicher fühlen?

Es muss einen kompletten Ruck durch die Gesellschaft geben, die Menschen müssen ihre Komfortzone aufgeben und sich engagieren. Ein erstarkender Antisemitismus ist immer auch ein Angriff auf unsere freiheitliche Demokratie. Wenn jetzt kein Einsatz gezeigt wird, wird die Gesellschaft in Strukturen abdriften, die sehr, sehr finster sind.

Momentan sind Sie mit Ihrem Buch auf Lese-Tour durch Deutschland. Am heutigen Mittwoch haben Sie zwei Veranstaltungen in Wiesbaden. Dabei sprechen und diskutieren Sie mit jungen Menschen. Warum ist Ihnen das wichtig?

Ich halte Vorträge mit meinem Buch und erzähle von meinen Erfahrungen. Das ist eine Arbeit auf Graswurzelniveau, aber ich glaube, dass man gerade bei Kindern und Jugendlichen ansetzen muss, um sie so früh wie möglich gegen diese Verschwörungslegenden und antisemitischen Denkmuster zu immunisieren. Das ist halt meine Art, gegen diese Entwicklungen aktiv vorzugehen. So kann ich meiner Tochter wenigstens später einmal sagen, dass ich versucht habe ein Teil der Lösung zu sein.
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Über Ben Salomo

Ben Salomo heißt mit bürgerlichem Namen Jonathan Kalmanovich. Er wurde 1977 in Israel geboren und wuchs in Berlin auf. Mit seiner Battle-Rap-Reihe „Rap am Mittwoch“ erreichte der jüdische Rapper Millionen Views bei YouTube. Aufgrund steigender antisemitischer Tendenzen im Deutschrap verkündete er im Mai 2018 seinen Rückzug aus der Hip-Hop-Szene. Nun hat er seine Autobiografie „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens" veröffentlicht und tourt damit durch Deutschland.
 
12. Juni 2019, 10.53 Uhr
Helen Schindler
 
 
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