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Foto: © Bernd Kammerer
Foto: © Bernd Kammerer

Sprengt ihn

Mach's gut, du hässlicher Turm

"Er hat mir nie besonders gefallen. Wenn ich konnte, habe ich über ihn gelästert. Jetzt geht er für immer. Warum ich ihn dennoch vermissen werde." Ein paar bruchstückhafte Erinnerungen von Nils Bremer.
Der Turm war zuallerst ein Symbol typischer erstsemestrischer Verwirrung. Kurse, Kolloquien, Prüfungsämter, Vorlesungsverzeichnisse, Diplomstudienordnungen, Bibliotheksausweise, Semestergebühren, Asta-Wahlen, c.t. und s.t., wobei s.t. nirgendwo stand und dann gab es kryptische Raumbezeichnungen, das Warten vor verschlossenen Türen, das Warten auf Sprechstunden von Professoren, das Warten auf Prüfungsergebnisse, es war sowieso eine einzige Warterei, weil das Studium ja verwaltet wird und die Diplomprüfung ein Verwaltungsakt ist, gegen deren Ergebnis vor Verwaltungsgerichten Widerspruch eingereicht werden kann, wenn man auf so etwas steht.

Am Campus Bockenheim gab es einen Pusteblumenbrunnen, der als eines der wenigen Relikte mit ans IG-Farben zog (und nun schon lange ergebnisoffen repariert wird, wie ich hörte), es gab den Labsaal, der immer nach faulen Eiern stank, weil die Lüftung den Dreck von dreißig Jahren umwälzte, es gab das Hörsaalzentrum mit seinem alten Teil und dem neuen, beide fensterlos, die Aula, den in Stein gehauenen Schriftzug, es gab das Café Bauer, in dem ein französisches Frühstück aus einer blauen Gauloises Blondes, einem Croissant und einem Milchcafé bestand, es gab laue Sommerabende mit Bierflasche in der Hand vorm KoZ, in dem es einen schrulligen Büchereibesitzer gab, die Karl-Marx-Buchhandlung um die Ecke ließ sich noch besichtigen oder das Skelett in dieser anderen Fachbuchhandlung weiter vorne, das Institut für Sozialwissenschaften an der Senckenberg, später nur wenige Meter weiter das Institut für vergleichende Irrelevanz. Vieles in dieser Aufzählung ist nicht mehr als eine verblassende Erinnerung.

Und dann gibt es den Turm. Gab es den Turm. (Niemand nannte den Turm je AfE-Turm, sondern einfach und immer nur Turm, also bleiben wir doch dabei.) Die, die ihn kennenlernen durften, verbrüdern sich schnell. "Weißt Du noch: DIESE AUFZÜGE!" Ja, es gab die Aufzüge, links fünf, die nur noch jedes fünfte Stockwerk oder seltener hielten, der rechte von ihnen fuhr eine zeitlang ohnehin nur los, wenn man vor dem Start kräftig gegen die Tür trat, wobei man danach den käsebleichen "Erstis" profimäßig zurief: "Ich bin hier öfters, anners fährt er nich."

Wahlweise gab es auch noch zwei Aufzüge, die in jedem der 38 Stockwerke hielten, was aber bedeutete, die ersten 45 Minuten eines Seminars mit Sicherheit zu verpassen. Manchmal schaukelten die Aufzüge, wenn sie stehenblieben, manchmal blieben sie auch zwischen zwei Stockwerken stehen oder so, dass man mit seinem Kopf genau auf Höhe der Schuhe der Wartenden war (die Türen gingen natürlich trotzdem auf). Als später eine Frau bei einem solchen Zwischenstopp auf tragische Weise umkam, da wusste ich nichts anderes zu denken als: Komisch, dass es erst jetzt passiert ist. Die Aufzüge wurden dann erstmal gründlich untersucht, ein paar Wochen (oder waren es Monate) war Treppensteigen angesagt, schon früh hatte jemand ins Erdgeschoss eines der Treppenhäuser auf den nackten Beton geschrieben: "36. Etage, 7:38 Minuten, wer bietet weniger?"

Überhaupt die Graffiti. "Wir bilden die Eliten, uns sollte man verbieten", stand schon groß im lichtdurchfluteten Foyer des Turms. Wir bilden die Eliten – welch Chuzpe für Soziologen, Politologen, Erziehungswissenschaftler! Nein, die Eliten lernten Spieltheorie, Öffentliches Recht oder Risk Management in den Gebäuden um den Turm herum. Im Turm bekam man dagegen schon von manchem Professor eingeimpft, dass das Risiko beim Spiel des Lebens leer auszugehen mit diesem Laberfach ja wohl ziemlich groß sei (was sich im Nachhinein freilich als Quatsch herausstellte und auch schon während des Studiums mit einschlägigen Statistiken hätte widerlegt werden können).

Der Gedanke, im Turm sein Leben zu lassen, schwang jedenfalls ab und an mit. Eigentlich hatte der Staat wohl auch keinen Bock mehr, in dieses Gebäude zu investieren, dauernd hieß es, der Umzug auf den IG-Farben-Campus kommt eh bald, die Gesellschaftswissenschaften sind da ganz vorne mit dabei. Tja, am Ende wurde als erstes neues Gebäude das House of Finance eröffnet, dort war nix an die Wände gekritzelt und die Seminarräume waren nach Dax-Unternehmen benannt, die dort irgendwie Geld gelassen hatten. Der Geist interessiert in Frankfurt ja schon lange nicht mehr, wahrscheinlich fing das Hohelied vom BWLertum schon mit dem Tode Adornos an, wen wunderte es da, dass es mit dem schnellen Umzug in schönere Gebäude nichts wurde.

Für eine der letzten großen, man muss es sagen, Fehlinvestitionen sorgte die Frankfurter Feuerwehr. Plötzlich fiel auf, dass im Turm die Rauchmelder fehlten. Die Zahl seiner Nutzer wurde drastisch reduziert, nur die ersten fünf Stockwerke durften noch für Seminare genutzt werden, darüber blieb nur den Professoren ihr Büro und die Bibliothek im 17. Kurz nachdem die Rauchmelder alle gesetzt waren und der Turm sich wieder mit täglich tausenden Menschen füllte, brannte es in einem höhergelegenen Treppenhaus. Und was sprang nicht an? Die Rauchmeldeanlage. Ganz groß, dachte ich nur und dass es die teuer angeschafften Gerätschaften wahrscheinlich nicht mal schnallen würden, wenn der Turm gesprengt werden würde, wie es einige Graffiti in ihm nahelegten.

Jetzt wird der Turm tatsächlich gesprengt. Und mich überkommt Wehmut. Ich kann das, insbesondere nach dem Aufschreiben einige meiner Erlebnisse in und mit dem Turm, nicht ganz fassen. Woher diese Wehmut? Vielleicht weil Erinnerungen Erinnerungen sind und manchmal bleiben sie an Gegenständen kleben. Wenn ich am Turm vorbeilief, fielen mir so Anekdoten ein. Erinnerte ich mich, wie mich die Wintersonne durch die großen Glasscheiben in der obersten Etage wärmte, während mein Blick auf dem Miniaturfrankfurt ruhte, das mir zu Füßen lag. Erinnerte mich an Prüfungen in kleinen Professorenzimmern, an Gespräche und Seminare und Bücher. Erinnerte mich an meine Freude, als das TurmCafé, das alle nur TuCa nannten, von Dutzenden Polizisten in voller Montur geräumt wurde, nicht weil ich, wie jetzt einige Freunde der studentischen Selbstverwaltung denken werden, einer schlagenden Verbindung angehörte oder irgendwie rechts und ordnungsgeil wäre, sondern weil ich einfach fand, das ein studentisch verwaltetes Café nicht unbedingt schlechten Kaffee feilbieten muss und Damenbinden, die in der Auslage dann direkt neben den Schokocroissants liegen und danach wurde gastronomisch mit dem Studentenwerk tatsächlich einiges besser. Ich erinnerte mich an die Diplomfeier, wie der Saal über den Wolken bei jedem ausgehändigten Zeugnis von Applaus gefüllt wurde, während die Stadt draußen in Abendrot getaucht wurde, und dass meine Eltern dabei waren und ich glücklich, stolz und fertig mit dem Studium und fertig mit der Uni im doppelten Sinn; von manchen Beziehungen muss man eben Abstand gewinnen und der Turm war so eine Beziehung. Vielleicht gehe ich zur Sprengung, ich weiß es noch nicht, aber ich bin ja neugierig, sonst wäre ich nicht Journalist, also: ja, ich gehe hin, auch weil ich weiß, dass meine Erinnerungen nicht mit diesem Gebäude in Staub zerfallen werden.

>> Mehr zur Sprengung des AfE-Turms

>> Dieser Artikel erschien zuerst am 31. Januar 2014 an dieser Stelle.
 
31. Januar 2017, 10.00 Uhr
Nils Bremer
 
 
Fotogalerie: AfE-Turm Der letzte Rundgang vor der Sprengung
 
 
 
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