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Foto: Nils Bremer
Foto: Nils Bremer

Bahnstreik

Ein Zug voller Hass

"Beim Blick ins Ausland dachte ich immer: Bei uns wird gar nicht richtig gestreikt, nur so, dass es keinem wehtut. Ich müsste es also toll finden, was die GDL macht. Doch das Gegenteil ist der Fall." Ein Kommentar.
Als Kind gab es für mich nichts Großartigeres als die Bahn. Meine Eltern besaßen kein Auto, nicht aus Prinzip, sondern weil es einfach nicht nötig war. Wir wohnten zentral, nach Frankfurt fuhren wir mit der Straßenbahn und später mit der S-Bahn. Für Urlaube nahmen wir den Flieger oder fuhren mit der Deutschen Bahn zur Verwandt- und Bekanntschaft nach Niedersachen, nach Schleswig-Holstein, Dänemark oder auch in die Schweiz. Überhaupt die Schweiz. Ein Zugfahrerparadies, mit Bahnhöfen in den kleinsten Nestern, mit zahnradbetriebenen Zügen zwischen Gletschern und Ingenieurswunderwerken, deren Name Viadukt in mir immer noch tiefste Erinnerungen an sattgrüne Täler, an das ferne Klingen von Kuhglocken und das Rattern der Schienen hervorruft.

Einmal standen wir am Frankfurter Hauptbahnhof mit einem guten Freund, um jemanden abzuholen. Der Freund war Amerikaner und ich war vielleicht zehn Jahre alt oder so, genau weiß ich das nicht mehr. Was ich aber noch genau weiß: Der Zug sollte um 10.42 Uhr ankommen. 30 Sekunden vorher war die gelbrote Lok vom Typ 103 zu sehen (als Kind lernte ich etliche dieser Kürzel auswendig), 15 Sekunden vorher rollte sie sanft am Bahnsteig ein und als der Sekundenzeiger bei 10.42 zum Stehen kam, kam auch der Zug zum Halt, die Türen öffneten sich und mit ihnen der Mund unseres amerikanischen Freundes. Wir wussten gar nicht, was los war, bis er uns sagte, was so unfassbar an dieser Deutschen Bahn, an dieser deutschen Pünktlichkeit sei. Kurzum: Die Bahn hat mein Herz in der Kindheit gewonnen, wie wahrscheinlich in der Kindheit vieler Jungen und im Grunde lässt einen die Kindheit ja nie los. Beste Voraussetzungen eigentlich für einen zünftigen Bahnstreik, bis darauf, dass ich nie Lokführer werden wollte.

Dazu kommt die Tatsache, dass ich die deutschen Streiks immer etwas belächelte. In Frankreich fuhren Bauern wegen irgendwelcher EG-Subventionen mit ihren Traktoren nach Paris, um dort vor den Palästen der Regierenden buchstäblich ihren Mist abzuladen. In Italien schlossen sich den Streiks der Müllmänner noch gleich die Lokführer, Busfahrer, Fluglotsen und Krankenschwestern an. Zwar existiert das Wort Generalstreik in der deutschen Sprache, das letzte Erlahmen der Republik datiert aber auf das Jahr 1948. Neunzehnhundertachtundvierzig!

Und damit zur Gewerkschaft der Lokführer. Ich sollte ja aus obengenannten Gründen (Liebe zur Bahn, Enttäuschung über mangelnde Gewerkschafter-Action) eigentlich toll finden, dass der GDL-Führer Claus Weselsky den größten Streik aller Zeiten ankündigt. Gewiss, steht es Arbeitnehmern auch zu, mehr Lohn zu fordern oder bessere Arbeitsbedingungen, alles völlig ok. Nur: Bahn und GDL sind sich eigentlich so gut wie einig. Es ist mitnichten so, dass man hier weit auseinander wäre. Die Lösung liegt so nah wie das Bordbistro eines ICE: Auf dem Weg dahin schwankt und wackelt es, aber nach fünf Minuten hat man ein frischgezapftes Pils und zwei Frankfurter Würstchen in der Hand. Perfekt. Hier aber drängt sich der Eindruck auf, gestreikt würde nur, weil es eine Konkurrenzgewerkschaft gibt, die weniger aggresiv (und damit weniger attraktiv?) auftritt als die GDL. Dieser Streik ist so unnötig. Er sorgt nur für volle Autobahnen, stillstehende Fließbänder, verärgerte Bahnkunden, geplatzte Familientreffen und Liebeleien, kurzum: Dieser Streik stößt in etwa auf soviel Verständnis wie defekte ICE-Klimaanlagen im Hochsommer oder Großstörungen, weil die erste Schneeflocke des Winters eine Weiche berührt hat.

Ja, ich fühle mich jetzt erleichtert, danke der Nachfrage und danke, dass Sie mir zugehört haben. Ob ich immer noch denke, dass es nichts Großartigeres gibt als die Bahn? Nein. Jetzt endgültig nicht mehr. Und wenn doch, dann nur in kurzen Momenten der Nostalgie. Wenn ich eine Reklame der rhätischen Bahn sehe. Oder einen Viadukt. Oder sich der S-Bahn-Fahrer morgens vielmals für die Verspätung entschuldigt, eine Verspätung von zwei Minuten. Oder nachmittags die Sonne durchs Dach des Frankfurter Hauptbahnhofs scheint. Dann, aber nur dann, für einen Augenblick so kurz wie der Moment, in dem man aufs Rückgeld am Fahrkartenautomaten wartet. Es ist die Phrase vom Früher als alles besser war. Früher als Streiks noch die Führung eines Unternehmens aufs Korn nahmen und nicht dessen Kunden oder gar seine Zukunft.
 
5. November 2014, 06.15 Uhr
Nils Bremer
 
 
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