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Joschka Fischer ist 60

Jetzt beim Blick in die Erinnerungsversatzstücke zur 68er-Revolte, die einem allerorten entgegenstrahlen, mag man es kaum glauben: der flegelhafte Junge von damals, nun ein nadelstreifiger Politdino, der von seinem Berliner Landsitz das Weltgeschehen kommentiert, feiert heute seinen 60. Geburtstag. Am 12. April 1948 wird Joseph Martin Fischer in Gerabronn geboren, die Familie geflüchtet, der Kosename Joschka eine Erinnerung an die ungarische Heimat. Mit der Schule hat er nicht viel am Hut, nach der neunten Klasse ist Schluss.

Kann so einer noch was werden? Er kann. Schlägt sich durch als Fotografenschüler, ministriert bei den Katholiken, mit 19 Jahren fasziniert ihn die außerparlamentarische Opposition, mit 20 zieht er nach Frankfurt, besucht die Vorlesungen der Vordenker der Neuen Frankfurter Schule, bringt sich ein, liest, liest, liest alles was er in die Finger bekommen kann und das ist nicht wenig, wenn man im linkesten Buchladen am Ort, dem Libresso gegenüber der damals noch zerstörten Alten Oper, arbeitet. Die Freundschaft mit Daniel Cohn-Bendit, dem aus Frankreich exilierten Studentenstar, festigt sich, auch mit Johnny Klinke, der heute den Tigerpalast führt und mit dem Bankierssohn Tom Koenigs, der sein Geld dem Vietcong vermachte und nun im Unicef-Vorstand sitzt. In der legendären Männer-WG wird auch die Idee geboren, die Arbeiter für den Revolutionären Kampf zu gewinnen, direkt da, wo es sie gibt, am Opel-Fließband in Rüsselsheim.

Lange währt das Arbeiterschicksal nicht und die erhoffte Mobilisierung bleibt auch aus. Fischer schlägt sich durch als Taxifahrer, bis 1981 noch - da glimmt das revolutionäre Feuer nur noch, der deutsche Herbst 1977 hat die Flammen erlöscht, wie bei so vielen. Doch da gibt es schon Neues am Horizont, die Grünen haben sich gegründet und Dany und Joschka aus Frankfurt wollen mitmachen. Der Aufstieg im Debattenkampf zwischen Realos und Fundis gelingt ihm rasch - 1983 sitzt er im Bundestag. Zwei Jahre später wird er hessischer Umweltminister unter Börner, die (Anti-)Atom-Politik sein Steckenpferd, aber auch sein Untergang, weil daran auch die Koalition mit der SPD schließlich zerbricht. Vier Jahre führt er die Opposition an, bevor Rot-Grün wieder eine Mehrheit erringen kann und Fischer erneut für drei Jahre Umweltminister wird.

Die Zäsur kommt 1995: Fischer wird wieder in den Bundestag gewählt, er rückt in den Vorstand der Partei auf, die hessischen Ämter lässt er hinter sich und ebenso auch den letzten Rest seiner frühen Biographie - er befürwortet militärische Einsätze und stellt sich hinter die Idee der Marktwirtschaft, für viele in der Partei ist da Schluss, sie hören auf, verschwinden oder halten den Mund. Die Grünen werden vom Realo Fischer geprägt, bis heute ist das spürbar. Als er 1998 Außenminister wird, wird die neue Linie auch äußerlich ersichtlich: der einstige Turnschuhminister betritt in feinstem italienischen Zwirn die internationale Bühne. Dafür muss er sich bald auch als Kriegsverbrecher beschimpfen lassen, weil er den völkerrechtswidrigen Krieg im Kosovo nicht nur mitbeschließt, sondern den Nato-Einsatz mit großen Tönen verteidigt. Bald fliegt ihm, dem Ex-Revoluzzer, bei einem Parteitag in Bielefeld ein roter Farbbeutel an Kopf - Fischer bleibt sitzen, trotz gerissenem Trommelfell, er kämpft mit sich und der Partei - und gewinnt.


Die Vergangenheit holt ihn dennoch ein - darf so einer Steine auf Polizisten geschmissen haben, fragt die CDU empört, als 2001 alte Fotos auftauchen. So etliche konservative Politiker haben noch eine Rechnung mit ihm offen, nun wollen sie sie begleichen, doch der inszenierte Skandal geht nicht auf - Fischer geht mit dem Polizisten von einst ein Bierchen trinken, man versteht sich und der Untersuchungsausschuss im Bundestag produziert viele Worte, viel Papier, ansonsten vor allem jedoch ein folkloristisches Bild der "Putztruppe", ach, guck mal, wie wütend, wie hitzköpfig der Joschka mal war.


2005, nach sieben Jahren als Außenminister, ist Schluss, das rot-grüne Projekt am Ende. Ein bisschen noch hängt Fischer auf seinem Bundestagsmandat rum, dann übergibt er es im September 2006 dem Frankfurter Omid Nouripour. Dann privatisiert er - hält Vorträge an der Uni in Princeton, auch sonst ist er weltpolitisch unterwegs, etwa als Gründer des European Council on Foreign Relations - oder er schreibt Bücher über sich und den 11. September und wie das alles damals war in seinen "rot-grünen Jahren" und jeden Montag eine Kolumne für "Die Zeit". Heute empfängt er zum Geburtstag alte und neue Weggefährten in einem Nobelschuppen. Nicht in seiner Villa im Grunewald - mitten im Grünen.

 
12. April 2008, 10.18 Uhr
Nils Bremer
 
 
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