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Foto: Institut für Stadtgeschichte
Foto: Institut für Stadtgeschichte

Displaced Persons

Die Heimatlosen von Zeilsheim

In Zeilsheim entstand nach dem Krieg ein Lager für ehemalige KZ-Häftlinge, die ein neues Leben fernab von dem Land der Täter suchten. Die Lager der Displaced Persons sind ein bis heute wenig beachteter Abschnitt der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Ein straßenbreites Tor am Rande des kleinen Frankfurter Stadtteils Zeilsheim: Die ersten drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war dies der Zugang zu einem kleinen, größtenteils selbstverwalteten Ort. Die Bewohnerinnen und Bewohner, sogenannte Displaced Persons, die überwiegend aus Polen stammten, und zum Teil das Konzentrationslager überlebt hatten, konnten nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren. Wie so viele Überlebende strebten auch die Heimatlosen eine Ausreise in die USA oder nach Israel an. Auf 5000 Zeilsheimer kamen zeitweise bis zu 3600 jüdische Displaced Persons, die allerdings auf einer verhältnismäßig viel kleineren Fläche in Steinbaracken lebten, in denen während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeitskräfte der IG Farben untergebracht waren. Zudem beschlagnahmte die amerikanische Militärregierung die Wohnhäuser von Ortsansässigen.

Die Lagerbewohnerinnen und -bewohner gründeten ein eigenes Parlament, hatten eine eigene Polizei, die blaugefärbte US-Army-Uniformen trug, zwei Lager-Zeitungen, einen Theatersaal, ein Kino und einen Fußballverein. Ein eigener Kosmos und ein neuer Start in einem kaputten Land. Ein Ort der Hoffnung und das erste Aufatmen nach einem schier unbegreiflichen Lebensabschnitt. Heute gibt es keine Spuren mehr. Alles, was nicht im Laufe der Jahre dem Erdboden gleichgemacht wurde, hat sich ins Straßenbild eingefügt. Ein Denkmal, das an die sechs Millionen getöteten Jüdinnen und Juden erinnerte, verschwand nach der Schließung des Lagers 1948 vom einen auf den anderen Tag. Die Backsteintreppe vor der Alten Post gegenüber dem Lagereingang, von der aus einst Eleanor Roosevelt und David Ben Gurion, später erster Ministerpräsident von Israel, zu den Lagerbewohnerinnen und -bewohnern sprachen, dient jetzt als Zugang zu einer Kinder- und Jugendbetreuung. Die Steinbaracken wurden abgerissen, nach dem sie Ende der 1960er-Jahre von italienischen Gastarbeitskräften bewohnt wurden. Die Wohnhäuser stehen noch.




Foto: Institut für Stadtgeschichte

Rainer Helbig, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsverein in Zeilsheim, setzt sich seit 20 Jahren mit der Geschichte des DP-Lagers auseinander, führt unter anderem Schulklassen und manchmal auch Nachfahren einstiger Lagerbewohnerinnen und -bewohner über das Gelände, auf dem heute nur noch eine Tafel auf den einstigen Standort der Steinbaracken hinweist. Sein Vorgänger im Heimat- und Geschichtsverein mied das Thema, noch heute werde wenig über das Lager gesprochen, sagt Helbig. „Das stößt hier immer noch ganz bitter auf. Viele mussten innerhalb von 24 Stunden ihre Häuser verlassen und für zwei Jahre bei Verwandten unterkommen“. Die Bevölkerung blickte mit Missgunst auf die neuen Nachbarn. Der Antisemitismus saß nach wie vor tief, zudem hatten die Zeilsheimer den Eindruck, die Alliierten würden die DPs bevorzugt behandeln und ihnen mehr Essensrationen und Freiheiten zugestehen. Nach außen galt das DP-Lager in Zeilsheim zur Nachkriegszeit vor allem als Keimzelle für einen regen Schwarzmarkt. Einige Anwohnende begannen Tauschhandel mit den im Lager Lebenden. Bald schon diente eine Bäckerei mit dem einzigen Telefon des Ortes als Zentrale für größere Schmuggelgeschäfte.

Insgesamt gab es in der amerikanischen Besatzungszone etwa 40 DP-Lager, meist untergebracht in ehemaligen Kasernen, Kriegsgefangenenlagern, Hotels oder, wie im Fall von Zeilsheim, Zwangsarbeitslagern. Dort, wo wenige Wochen zuvor noch Menschen gelebt hatten, die tagsüber in Fabriken schuften mussten, um unter anderem Zyklon B herzustellen, zogen nun Menschen ein, die den Holocaust überlebt hatten. So diente beispielsweise auch ein Geländeabschnitt des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen bis 1951 als DP-Lager. Die Unterbringungen waren meist überfüllt, die hygienischen Bedingungen unzureichend. Ein bekanntes Zitat eines amerikanischen Diplomaten aus dieser Zeit lautet: „Es ist doch so, dass wir die Juden genauso behandeln, wie es die Nazis getan haben. Nur, dass wir sie nicht umbringen.“ Jedoch räumten die Amerikaner den Bewohnerinnen und Bewohnern des Lagers fast uneingeschränkte Selbstbestimmung ein.

Salomon Korn, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde und ehemaliger Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie Architekt des Jüdischen Gemeindezentrums in Frankfurt, war drei Jahre, alt als er mit seiner Familie in das DP-Lager Zeilsheim kam. Die zehnköpfige Familie musste sich ein Zimmer teilen. Eine der wenigen Erinnerungen, die Korn an das DP-Lager hat, waren die nächtlichen Wanzenbisse: „Am nächsten Morgen haben wir die Wanzen aus der Matratze gepult und anschließend in einem Eimer mit Wasser untergehen lassen.“ Im lagereigenen Kinosaal sah Korn seinen ersten Film überhaupt. In der Hauptrolle die Schauspielerin Marika Rökk, die Hitler verehrte und noch nach der Wende zu verhindern versuchte, dass ihre einst von einem jüdischen Regisseur beschlagnahmte Villa der Jewish Claims Conference zugesprochen werde.

Korns Familie war eine der wenigen im Lager, die nicht nach Israel oder in die USA auswanderten, da ihnen das nötige Geld fehlte: „Meine Eltern wollten nicht in Deutschland bleiben. Sie sind hier nie richtig sesshaft geworden.“ 1948 zogen sie in den Röderbergweg 29, in ein ehemaliges Schulgebäude – eine weitere Übergangslösung. „Die Koffer waren gepackt, aber es hieß immer ‚Wir fahren später‘. So wurden die Koffer immer schwerer und als man versuchte sie aufzuheben, waren sie so schwer, dass man nicht mehr weg konnte oder weg wollte.“ Korns Vater begann das wenige Geld, das zur Verfügung stand, in Immobilien zu investieren und in Frankfurt eine neue Existenz zu schaffen. Später zog es die Eltern für die meiste Zeit des Jahres nach Israel, während Salomon Korn in Frankfurt blieb, Architektur studierte und Artikel für die FAZ und andere namhafte Zeitungen zu schreiben begann.




Foto: Institut für Stadtgeschichte

Rainer Helbig setzt sich dafür ein, dass auf dem Gelände des DP-Lagers weitere Gedenktafeln aufgestellt werden, die er mit Informationsmaterial und Fotos versehen möchte. „Diese Tafel momentan, das ist für mich zu wenig. Die jungen Menschen, die davon gar nichts wissen, sollen es sich wenigstens vorstellen können.“ Das Aufflammen von rechter Rhetorik und Gewalt, die Parallele zu Überlegungen von Auffanglagern für Geflüchtete an Landesgrenzen seitens der Bundesregierung seien für ihn Gründe, die Gedenkkultur aufrecht zu erhalten. Bisher fiel sein Vorhaben allerdings auf kaum fruchtbaren Boden. Kevin Bornath, Vorsitzender der CDU Zeilsheim, der das Aufstellen der Gedenktafeln einmal während einer Parteisitzung vorschlug, um es in einen Ortsbeiratsantrag voranzutreiben, stieß innerhalb der Partei auf Widerstand: „Wir haben in unseren Reihen Mitglieder, die damals von den Maßnahmen der Amerikaner betroffen waren. Sie möchten an diese Zeit eher weniger gerne erinnert werden.“ Als Grund gegen die Tafeln werde aber auch genannt, dass man befürchte, sie würden von den zum großen Teil muslimischen Anwohnenden beschädigt werden. „Das ist Quatsch. Die Tafel steht da jetzt seit fast 20 Jahren und ist ein einziges Mal ein bisschen besprüht worden“, sagt Helbig, der gemeinsam mit Bornath an der Umsetzung arbeitet.

Sie sind der Meinung, dass besonders für junge Menschen die Aufarbeitung von Geschehenem wichtig für einen reflektierten Umgang mit aktuellen Problemen sei. Eine Ansicht, die auch Salomon Korn vertritt: „Es fing ja im Alltag an. Wir werden nur dann in unseren Erkenntnissen weiterkommen, wenn wir über das Individuelle hinausgehen und die Zusammenhänge begreifen. Das ist eine Leistung, die wir vollbringen müssen und die nicht einfach ist, weil es bedeutet, sich mit komplexen historischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen auseinanderzusetzen.“ Grundsätzlich sei er für Gedenktafeln, schätze die Wirkung aber als eher gering ein, dafür würden einfach zu wenige Menschen von außerhalb Zeilsheim besuchen. „Wir müssen als diejenigen, die den nationalsozialistischen Wahnsinn heute erkennen können, alles dafür tun, dass sich solche Dinge nicht wiederholen. Da gehören auch solche Gedenktafeln dazu“, sagt Korn. Rainer Helbig wird sich weiterhin für die Gedenktafeln einsetzen, und das Vorhaben in unterschiedlichen politischen Instanzen zum Thema machen sowie Fördermittel beantragen, denn „irgendwann bin auch ich nicht mehr da – und dann macht es keiner.“




Foto: Institut für Stadtgeschichte

Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 7/2019 des JOURNAL FRANKFURT.
 
28. August 2019, 11.29 Uhr
Johanna Wendel
 
 
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