Die Polytechnische Gesellschaft wird 200

Vielfältig engagiert für Frankfurts Zukunft

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Die Polytechnische Gesellschaft feierte am Donnerstag ihren 200. Geburtstag mit 800 Gästen in der Paulskirche. Sie fördert seit 200 Jahren bürgerschaftliches Engagement. Wir haben mit Präsident Walther von Wietzlow gesprochen.

Anett Göthe /

„Polytechnik“ bedeutet „Vielfalt an Fähigkeiten fördern“. In diesem Sinne engagiert sich die Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main mit ihren sieben Tochterinstituten auf vielfältige Weise für Wissenschaft, Bildung, Kultur und Soziales. Die Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte, die Wöhler-Stiftung, der Kunstgewerbeverein in Frankfurt am Main e.V., das Institut für Bienenkunde, das Kuratorium Kulturelles Frankfurt e.V. und der Verein zur Pflege der Kammermusik und zur Förderung junger Musiker e.V. bilden die sechs Tochterinstitute, die in ihrer spezifischen Ausrichtung für ihre Tätigkeit jährlich von der Polytechnischen Gesellschaft mit namenhaften Beträgen unterstützt werden. Das siebte und jüngste Tochterinstitut ist die 2005 gegründete Stiftung Polytechnische Gesellschaft, die zu den größten privaten Stiftungen Deutschlands gehört und sich in vielfältigen Projekten engagiert. Im Gespräch mit dem Präsidenten Walther von Wietzlow werfen wir einen Blick auf die Polytechnische Gesellschaft und ihre Tochterinstitute.

JOURNAL FRANKFURT: Am 24. November wird die Polytechnische Gesellschaft 200 Jahre alt. Zu welchem Zweck erfolgte ihre Gründung?
WALTHER VON WIETZLOW: Nach Beendigung der napoleonischen Ära wurde Frankfurt wieder eine freie Stadt im Deutschen Bund. Zur Stärkung liberaler Ideen gründeten 33 Polytechniker, unter ihnen bekannte Frankfurter wie der Pädagoge Adolph Diesterweg, der Bankier Simon Moritz von Bethmann und Freiherr vom Stein den Polytechnischen Verein. Ziele waren die Förderung von Bildung und die Linderung von Not in Frankfurt. Die erste Maßnahme, die die Polytechniker einführten, war die Gründung der Sonntagsschule. Hier konnten Handwerker ihre technischen Fähigkeiten ausbauen und vertiefen. In den darauffolgenden Jahren wurden weitere Institutionen gegründet: darunter eine Sparkasse, eine Blindenanstalt und eine Gewerbeschule, die von dem langjährigen Präsidenten der Polytechniker August Anton Wöhler gegründet wurde. Das war Pionierarbeit im Bereich des dualen Systems.

Seit 32 Jahren sind Sie Mitglied der Polytechnischen Gesellschaft, seit Ende 2014 deren Präsident. Was veranlasste Sie, sich dieser Aufgabe zu stellen?
Das hohe bürgerschaftliche Engagement der polytechnischen Gesellschaft und die Tiefe der Wirkung in die Stadtgesellschaft fand ich immer schon interessant. Zudem haben mich die durch die Gründung der Stiftung Polytechnische Gesellschaft vor 11 Jahren entstandenen zusätzlichen Möglichkeiten, aktiv etwas bewirken zu können, gereizt. Als mich mein Vorgänger Prof. Klaus Ring fragte, ob ich das Amt des Präsidenten übernehmen möchte, habe ich diese Herausforderung gern angenommen.

Im Laufe der vergangenen 200 Jahre wurden insgesamt 50 Institute gegründet. Wie setzen die heutigen sieben Tochterinstitute die polytechnischen Werte um?
Die Gründungen erfolgten stets aus konkretem Anlass und vor dem Hintergrund der aus der Aufklärung folgenden geistigen Haltung: Liberalismus, Freiheit der Wissenschaft und des Einzelnen. Aus diesem Geist heraus, sind die Tochterinstitute entstanden, um etwas Neues zu schaffen. Die jetzigen Tochterinstitute setzen die polytechnischen Werte auf ganz unterschiedlichen Gebieten um: Das Kuratorium Kulturelles Frankfurt, der Kunstgewerbe- und der Kammermusikverein stehen für Kunst und Kultur, das Institut für Bienenkunde und die Wöhler-Stiftung für Wissenschaft und Technik und die Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte für das Soziale. Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft setzt die projektmäßig organisierten polytechnischen Förderungen um, die von Sprachbildung, insbesondere für Migranten, über Wissenschaftsförderung bis Kultur, wie zum Beispiel das Opernstudio, reichen.

Was stellte für Sie bisher die größte Herausforderung in der Polytechnische Gesellschaft dar?
Der Verkauf des Tochterinstituts Frankfurter Sparkasse von 1822 im Jahre 2005 war eine große Herausforderung, die viel Überzeugungskraft erforderte. Doch es sollte sich zeigen, dass dies der richtige Schritt für die Zukunftssicherung der Polytechnischen Gesellschaft und zur Stärkung ihres bürgerschaftlichen Engagements war.

Wie grenzt sich die Stiftung Polytechnische Gesellschaft zu den sechs Tochterinstituten ab?
Die Stiftung ist die verlängerte „Werkbank“ und der operativ fördernde Arm der Polytechnischen Gesellschaft und verfolgt die polytechnischen Ziele als Mehrspartenstiftung. Identität gewinnt sie auch dadurch, dass die Mitglieder der Polytechnischen Gesellschaft gleichzeitig Stifter sind. Sie wurde 2005 mit einem Kapital von 397 Millionen Euro aus dem Verkauf ihrer Tochter, die Frankfurter Sparkasse 1822direkt, errichtet. Die von ihr unterstützten Projekte in Frankfurt reichen vom DeutschSommer über das Diesterweg-Stipendium für Kinder und ihre Eltern und das MainCampus-Stipendiatenwerk bis zu den StadtteilBotschaftern. Bei all diesen Projekten steht die Förderung von Bildung, Wissenschaft, Kultur und Soziales im Fokus.

Was beinhaltet das Projekt DeutschSommer?
Der DeutschSommer ist ein „Sprachferienlager“, in dem Frankfurter Drittklässler, meist Migrantenkinder, spielerisch ihre Deutschkenntnisse verbessern können und gleichzeitig auch die Eltern einbindet. Dadurch sehen Eltern, dass Bildung eine wichtige Grundlage ist – ganz im Sinne eines unserer Prinzipien: sozialer Aufstieg durch Bildung. Das Projekt hat sich wunderbar bewährt. Dafür hat die Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt im Oktober dieses Jahres den Kulturpreis Deutsche Sprache 2016 erhalten.

Unterstützt und fördert die Polytechnische Gesellschaft dort, wo staatliche Hilfe nicht mehr greift?
Das ist das Kernthema des bürgerschaftlichen Engagements. Wir unterstützen, wo der Staat nur lückenhaft helfen kann. Ohne bürgerschaftliches Engagement geht eine Gesellschaft den Bach runter. Deshalb liegt uns am ehrenamtlichen Engagement so viel, weil wir gerade in der Mitte unserer Gesellschaft bestimmte Erosionsprozesse erleben. Die Konzentration auf die Mitte und deren Stärkung ist wichtig. Politik richtet sich oft auf die Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben. Wenn aber die Mitte der Gesellschaft geschwächt ist, werden wir am Rand auch nicht mehr viel helfen können. Deshalb ist es so wichtig, dass es in Frankfurt eine große Anzahl von Stiftungen gibt, es sind über 600, die die Mitte und das bürgerschaftliche Engagement stabilisieren können.

Die Gesellschaft ändert sich. Wo sehen Sie zukünftig Förderbedarf?
Die Herausforderung für die Zukunft ist, Rahmenbedingungen für eine bürgerschaftliche Gesellschaft zu liefern und diese zu stabilisieren. Im Sinne unserer Kern-Themen unterstützt unsere Stiftung das Projekt „Frankfurt hilft – Engagement für Flüchtlinge“, ein tolles Kooperationsprojekt des Sozialdezernats mit neun Frankfurter Stiftungen. Hier wurde eine Koordinierungsstelle als Ansprechpartner für Migranten eingerichtet. Die Herausforderungen für unsere Gesellschaft, und damit für die Polytechnischen Gesellschaft, thematisieren wir in der umfangreichen Vortragsreihe „Zukunft entdecken“ zu der wir Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft eingeladen haben. Die Polytechnische Gesellschaft und ihre sieben Tochterinstitute werden auch zukünftig für Bildung, Verantwortung und soziales Engagement stehen.


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