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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Ana Marija Milkovics Kolumne

Über 2019

Das Jahr 2018 neigt sich dem Ende zu und unsere Kolumnistin Ana Marija Milkovic reflektiert über Rechtspopulismus und das Deutschsein. Für das kommende Jahr motiviert sie, für die arbeitsmarktpolitischen Interessen aufzubegehren.
Kürzlich fuhr ich im ICE und surfte mit dem Wifi der Deutschen Bahn durchs Internet. Dabei trickste ich das Zahlportal der Wochenzeitung Die Zeit aus. Ich schaute nach den Kolumnen Harald Martensteins im Zeit Archiv und gab die Titel gesondert in der Suchmaschine ein. Diese spuckte mehrere Kolumnen aus und ich las. Ich hatte eigentlich angenommen, dass Martenstein bei der stetig wachsenden Zahl an Sauberlesern der Humor fürs Kolumnenschreiben vergangen war. Martenstein schrieb weiter. Das Archiv schien lückenlos bis in den Dezember 2018 mit seinen Kolumnen gefüllt. Alter weiser Mann ist das Synonym für einen Rechtspopulisten. Der einstige Liebling unter den deutschen Kolumnisten, Martenstein, wird mittlerweile von seinen Kritikern so genannt.

Im Prinzip ist es heute recht einfach, Rechtspopulist zu werden. Martenstein sollte eine Anleitung zum Rechtspopulismus schreiben. Die Leser würden sich nach Erscheinen medienwirksam in zwei Lager teilen. Die einen würden das Buch mit schwarzem Humor bedenken. Den anderen verginge beim Lesen das Lachen. Humor ist die Sache von Deutschen nicht. Rückblickend war es in Deutschland nur direkt nach dem Dritten Reich möglich, ein guter Nazi gewesen zu sein. 2018, da kaum noch Nationalsozialisten leben, die vom Dritten Reich direkt partizipiert hatten, entnazifizieren wir das Land.

Kürzlich habe ich mir über Deutschland Gedanken gemacht. Ich bin zwar erst seit 2006 Deutsche, die Jahre zuvor habe ich aber beflissentlich daran gewirkt, eine zu werden. Deswegen zähle ich mich schon länger zu den Deutschen. Bei meiner Inauguration zur Deutschwerdung war ich gut vorbereitet. Die deutschen Außenminister hätte ich der Reihe nach aufzählen können, wäre ich nur danach gefragt worden. Eine mir Mut zulächelnde Beamtin übergab mir schließlich feierlich die Einbürgerungsurkunde. Links und rechts standen Deutschlandfähnchen auf dem Tisch. Die Feierlichkeit war binnen weniger Minuten vorbei. In Anbetracht der Tatsache, dass ich mein Leben lang geübt hatte, Deutsche zu werden, fand ich das Prozedere wenig beeindruckend.

Du dumme Sau, halt’s Maul, sage ich natürlich jenen, die meinen, ich könne froh sein, Deutsche geworden zu sein. Deutsch sein bedeutet natürlich auch, eine Deutsche ohne Vorbehalte zu sein. Deutsch sein bedeutete als Kind für mich, in größerem Wohlstand aufgewachsen zu sein als meine gleichaltrigen Verwandten in Südosteuropa. Die hatten zwar auch alles, aber von allem weniger, jedenfalls vom westlichem Konsum. An der Kaufkraft lässt sich die nationale Zugehörigkeit sehr gut messen. Dem Dinar fehlte die Kaufkraft und damit die westliche Anerkennung. Die Inflation gab dann dem Land den Rest.

Ich bin im Zug dann noch auf einen Artikel des Spiegels aus dem Jahr 2010 gestossen. Die Autoren schrieben, dass die Reallöhne seit 2010 um 50 Prozent im Vergleich zu 1990 gefallen waren. Das ging aus einer Untersuchung der 100 häufigsten Berufe hervor. Die größten Verlierer waren die Ärzte. „Angestellte mit Führungsaufgaben hätten ihre Gehälter deutlich steigern können, ihr Bruttoeinkommen sei inflationsbereinigt um 18 Prozent gestiegen. Die mittleren und unteren Einkommensschichten hätten dagegen in der Regel höchstens ihr früheres Niveau halten können.“ Das Bundeskanzleramt und die Wirtschaftsvertreter propagieren ein anderes Bild von Deutschland. Die Wirtschaft boomt. Die Jahrzehnte währende Fall von Lohnentwicklung scheint überwunden.

Daran glauben zumindest die Mitarbeiter der Deutschen Bahn nicht. Seit Montag streiken sie gegen Niedriglöhne, Investitionsstau sowie personelle Einsparungen. Ich bin nicht zuversichtlich, dass sich ein Investitionsstau über zwanzig Jahre hinweg in der Infrastruktur beheben lassen wird. Gleiches gilt für den Wohlstand jener, die zwanzig Jahre zu kurz gekommen sind. Nun beschäftigen sich die Mitarbeiter der Deutschen Bahn mit Sachpolitik. Nehmen wir uns ein Beispiel. 2019 soll für uns Deutsche das Jahr werden, in dem wir nicht nach links oder rechts aufbegehren, sondern für unsere arbeitsmarktpolitischen Interessen. Frei von rechten und linken Parolen wird so eine Mehrheit Bereich für Bereich gestalten können. Liberté, Égalié, Fraternité: Ziehen wir uns im kommenden Jahr die gelben Westen an. Dann wird es auch ein gutes werden.
 
11. Dezember 2018, 10.18 Uhr
Ana Marija Milkovic
 
 
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