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Von der Misslungenheit des Hupfs und radelnden Helmträgern

Es gibt Dinge im Leben, die tut man, weil man sie tun muss – und es gibt andere Dinge, die tut man, weil man sie tun will. Nur selten fügt es sich, dass man das, was man tun muss, auch wirklich tun will. So muss ich zum Beispiel Nahrung zu mir nehmen, das hat der Schöpfer so geplant. Aber wie oft sitze ich im Restaurant und muss Sachen essen, die ich gar nicht essen will. So wird einem doch zurzeit kaum ein Fleisch- oder Fischgericht aufgetischt ohne die Beigabe von Pflaumen, Datteln, Maracuja, Ananas oder Aprikosen, umgeben von dieser neumodischen Unsäglichkeit namens „Crema di Balsamico“, die jeder, der nicht kochen kann, aber angeben will, zwingend im Küchenregal stehen haben muss. Häufig kommt dann zum Dessert ein Schokoladenkuchen, der nicht lange genug im Ofen war und deswegen einen Kern aus flüssigem Teig hat. Meine Oma hätte sich dafür geschämt, der Szenewirt hingegen verlangt für die Misslungenheit des Hupfs 3 Euro extra. Für mich hat dann das Elend seinen Gipfel erreicht, denn ich habe mal wieder den ganzen Abend etwas getan, was ich nicht wollte – nämlich hippen Dreck gefressen.

Dieses Müssen zieht sich durch die verschiedensten Lebensbereiche. Broterwerb, Urlaub, Verwandtenbesuch, Fortpflanzung, Unterhaltung, Fortbewegung, all diese Gebiete sind mehr vom Müssen als vom Wollen geprägt. Doch es gibt Ausnahmen. Wenige, aber es gibt sie. Dazu gehört zum Beispiel das Radfahren. Eine wundervolle Gelegenheit, das Notwendige mit dem Angenehmen zu verbinden. So war es zumindest die ganze Zeit – bis es Frankfurts putzigste Zeitung zum wochenlangen Dauerthema machte. Jahrzehntelang setzte man sich einfach aufs Rad, hatte seinen Spaß und war binnen kürzester Zeit – und viel schneller als Autos und Bahnen – am Ziel. Damit ist es nun vorbei. Seit die Betroffenheitsbeauftragten dieses kleinformatigen Blattes uns Radfahrer als schützenswertes Gut entdeckten, fühlt man sich in Frankfurt nicht mehr als freier Radler, sondern wie eine seltene Kröte auf zwei Rädern. Deswegen sei hier an dieser Stelle mal gesagt: Nein, wir brauchen keinen Schutz! Nichts ist schlimmer als die Vorstellung, in Frankfurt herrschten Zustände wie in Freiburg oder Münster! Wie entsetzlich das dort ist! Tausende radelnder Weich­eier mit Helmen auf dem Kopf, Warnwesten um den Leib und Katzenaugen an den Knien verstopfen die Innenstadt. Gutmenschen mit Rucksäcken, aus denen Lauchstangen lugen, stehen vor roten Ampeln herum, fahren nachts mit Licht und kuschen in Einbahnstraßen vor entgegenkommenden Autos. Als würden betreute Wohngemeinschaften einen Ausflug machen. Sogar als Fußgänger wird man angepflaumt, wenn man bei Rot über die Ampel geht. Ja Leute, wo leben wir denn? Wer Zucht und preußische Ordnung will, der soll doch nach Berlin ziehen. Sich dort von unverschämten Schutzmännern anblaffen lassen, weil man schräg und bummelnd die Straße überquert und nicht zügig deutsch geradeaus auf dem kürzesten Weg, wie einst von der Maas bis an die Memel.

Diese Krötentunneldiskussionen führen nur zu einer Verschärfung des Klimas. Herrliche nächtliche Dialoge wie: Polizist: „Eh, Sie, was ist denn mit Ihrem Licht?“ Radfahrer: „Des is gabutt.“ Polizist: „Ach so. Ja dann“ – sie werden der Vergangenheit angehören. Und bringen wird es gar nichts. Die viel gelobte Frankfurter Regelung, wonach nun Radfahrer gegen die Einbahn fahren dürfen, wer hat sie denn ermöglicht? Das waren keine Politiker, das waren wir Radfahrer. Wir hatten keine Chance, also nutzten wir sie und scherten uns einen Dreck um Verkehrsschilder. So wurde irgendwann zum Gesetz gemacht, was schon längst gängige Praxis war und in Städten wie New York übrigens schon immer selbstverständlich ist. Dass man bei uns für teures Geld kleine Schilder aufstellte und die Straßen putzig bemalte und damit die Stadtteile zu riesigen Verkehrskindergärten machte, das war so unnötig wie ein funktionierendes Rücklicht. Doch egal. So jedenfalls wird es gewiss irgendwann auch erlaubt sein, bei Rot über eine Ampel zu fahren – vorausgesetzt, man hört endlich auf mit diesen infantilen Podiumsdiskussionen. Falls es noch niemand gemerkt hat: Die Radler nehmen sich die Stadt. So oder so, dazu braucht’s keine Politiker. Denn gegen Crema di Balsamico unternehmen die ja auch nichts.

Erschienen am 13. Mai 2008 in der Print-Ausgabe des Journal Frankfurt; Illustration: Peter O. Zierlein

Die aktuelle Kolumne findet Ihr im Journal Frankfurt.

 
4. September 2008, 10.30 Uhr
Michi Herl
 
 
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