Newsletter
|
ePaper
|
Apps
|
Abo
|
Shop
|
Jobs

Unterwegs mit Ypsi und Petra

y02.jpg

16.15 Uhr. Da kommt sie, Andrea Ypsilanti. Oppositionsführerin im hessischen Landtag und Anwärterin auf den Posten als Ministerpräsidentin. Ihre heutige Mission: Wahlkampf im „Ebbelwei-Expreß“. Ein Pulk von Menschen drängt sich bereits an der Tramhaltestelle am Hauptbahnhof. SPD-Genossen mit „Y“-Buttons, Vereinsvertreter, meist ältere Herrschaften, und natürlich die Fotografen, Kamerateams und Mitschreiber, welche die frohe Botschaft nach draußen tragen sollen. Eine Mischung aus Vorfreude und Erwartungshaltung ist in der Luft.

y05.jpg

Frau Y. strahlt, schüttelt Hände und bekommt von der AWO ganz unverhofft einen handgerechten Bembel gereicht, der aber während des Smalltalks zunächst in der Hand des Schenkers verweilt. So ein Steintonkrug ist eben nicht leicht und Ypsis Fingernägel sehen frisch gemacht aus. Petra Tursky-Hartmann, SPD-Landtagskandidatin für den Frankfurter Süden, verteilt in der Zwischenzeit den Ablaufplan an die Presse: Nach Niederrad, Goldstein, Schwanheim und Sachsenhausen soll die Reise gehen. „Eingeladen wurden Vereinsvertreter der fünf Vereinsringe,“ heißt es auf dem Zettel. Der fünfte Stadtteil, Oberrad, könne aber „mangels Wendeschleife“ nicht angefahren werden. Schade. Mittlerweile ist die Kapazität der schmalen Haltestelle überschritten, die Leute stehen auf der Fahrbahn, behindern den Verkehr. Dann kommt endlich der „Ebbelwei-Expreß“ mit seinen zwei roten Waggons im Yellow-Submarine-Design. Für mich, den Verächter vergorener Säfte und den Nicht-Konsumenten geistreicher Getränke, eine Premiere.

y03.jpg

16.30 Uhr. Es geht endlich los. Da sich Ypsi in den ersten Waggon setzt, wird es für die anderen eng. Vor allem die Journalisten müssen sich stehend zusammengedrängt gut festhalten und dabei noch Töne und Bilder einfangen. Während es sich die Gäste mit dem Anbrechen der Stöffche-Flaschen schon mal gemütlich machen und gutgehen lassen, fängt die die Achse aus Politik und Presse die Arbeit an. Das erste Kamerateam hat bereits Ypsi belagert, welche professionell Auskunft erteilt, Petra Tursky-Hartmann hängt sich ans Mikro, spielt die Reiseleiterin und erklärt, wohin und (das Wichtigste) worum es heute geht. „Wir wollen heute das Ehrenamt würdigen,“ sagt sie. „Wir wollten heute keine Weltpolitik machen, sondern was zum Anfassen.“ Daher habe man sich für den „Ebbelwei-Expreß“ entschieden, einer Verbindung von „Tradition und Moderne“, wie man es eben aus Frankfurt vielfach kennt, was auch immer damit gemeint sein mag. Bevor es in den Frankfurter Süden gehe, würde die Bahn noch eine „Ehrenrunde um die Messe“ drehen. Noch bevor wir wieder den Hauptbahnhof erreichen, steigen schon die ersten Berichterstatter aus. Und ich stelle fest, dass ich gut daran getan hätte, es ihnen gleich zu tun. Aber gut, Auftrag ist Auftrag und wir sind gerade erst am Anfang. Also bin nicht ich für meinen Entschluss zu schelten, sondern die Kollegen, die sich drücken. Ich mache mit meiner Arbeit weiter und frage einen Herren aufs Geratewohl, von welchem Verein er sei. Er drückt mir sofort die Visitenkarte des Karnevalvereins „Die Stichlinge“ in die Hand, schreibt noch ein paar Termine auf die Rückseite und lässt sich meine Kontaktdaten geben. Ein anderer sieht es, nutzt die Gunst der Stunde und drückt mir einen Flyer in die Hand. „Schreiben sie mal was darüber.“ Jaja, danke...

Kaum sind wir über den Main, übernimmt Ypsi das Mikrofon, dankt Petra für die Einladung und sagt eine Kurzfassung ihres Wahlprogramms auf: Eine sozialdemokratische Ministerpräsidentin sei richtig und gut; man hätte eine richtig gute Chance, die Regierung abzulösen, um mal wieder soziale Gerechtigkeit zu schaffen.

y12.jpg

Dann stimmt sie ein Loblied auf das Ehrenamt an. Sie bedankt sie sich bei den Eherenamtlichen, die etwas für das Gemeinwohl leisteten und dafür sorgten, dass Leben in die Kommunen komme. Politiker könnten es sich nicht leisten, auf das Ehrenamt zu verzichten. Die Landesregierung habe wichtige Gelder gestrichen und damit das Ehrenamt belastet. Das Ehrenamt dürfe aber nicht das ausgelastete Hauptamt ersetzen. Das Ehrenamt sei nämlich der Kitt der Gesellschaft ... und so fort. Damit leitet sie zur Bildungspolitik über, die ihrer Ansicht nach in Hessen gescheitert sei. Jedes Kind sollte eine Chance haben, keines dürfte zurückgelassen werden, damit jedes seine Talente entwickeln könne. Daher setze sie sich für Ganztagsschulen mit echten Lehrern ein. Das Gymnasium in acht Jahren („G8“) werde unter ihrer Regierung wieder abgeschafft. Ypsi verspricht eine Politik, „die alle mitnimmt“: Familien, Kinder, Mindestlöhne, Ladenöffnungszeiten, Beamte – eben alle. Und die auf Ebbelwei-Fahrt-Mitgenommenen applaudieren in den Kunstpausen nach jedem hörbaren Ausrufezeichen. Ein Wechselspiel zwischen Parolen und Beifall. Dann schließt Ypsi wieder den Kreis der Entschlossenheit: „Ich werde Ministerpräsidentin,“ wiederholt sie. „Die Chancen sind gut.“ Ein Blick auf die letzten Umfrageergebnisse spricht dagegen. Aber im Wahlkampf gibt es eben nur Optimisten.

y09.jpg

Kaum ist der Applaus abgeklungen, wird Petra zum DJ und legt den Wahlkampfsong der Hessen-SPD auf. „Die Zeit ist reif“ ist die mit Schlagerbeat unterlegte Botschaft, einer Gruppe namens „Die Crackers“. Weder die Musik noch der Text sind an dieser Stelle erwähnenswert, wer sich aber selbst überzeugen möchte, kann es hier tun. Nach einem Mal ist es leider nicht getan, der Song läuft bei jeder Gelegenheit in Endlosschleife und scheint nur Petra selbst zu gefallen, die auch gerne den Text mitsingt und sich sogar vom Rhythmus mitreißen lässt. Ypsi hingegen bleibt seriös und wird mit betroffenem Blick und offenem Ohr zur Seelsorgerin für die Vereinsmitglieder. Jemand reicht mir eine Unterschriftenliste, damit eine Familie nicht in die Türkei abgeschoben wird. Nach eingehender Information drücke ich in Sachen Presseneutralität ein Auge zu und unterschreibe – schaden kann es nicht.

y10.jpg

Immer wieder stehen einzelne Personen auf und erzählen per Mikro etwas über ihren Stadtteil, auch wenn es nicht besonders viel zu erzählen gibt und auch wenn niemand wirklich zuhört. Wir erfahren, dass Goldstein „eine Menge zu bieten“ und Schwanheim ein „reges Vereinsleben“ haben und in Niederrad eine Gewerbeschau stattfinden werde. Wahnsinnig spannend. Derweil erzählt Ypsi aus dem Nähkästchen, dass sie Abends gerne Tee trinke, Krimis lese und von Wein und Bier ganz aufgedreht werden würde. Bei einer Raucherpause bekommt sie noch mehr Geschenke überreicht. Die geschäftige Petra lässt sich derweil keine Gelegenheit entgehen, bei ihrer Freundin Andrea zu sein.

y13.jpg

In der Zwischenzeit frage ich eine Delegation des Bürgervereins Oberrad, warum sie hier ist. „Nachtflugverbot,“ lautet die Antwort. Leider habe Ypsi noch kein Wort zu deren großen Anliegen gesagt. „Dabei ist es bei uns am Schlimmsten.“ Sie erzählen, dass sie Politiker zu sich einladen wollen, damit sie einmal wüssten, wie laut es nachts bei ihnen sei. Die Herrschaften steigern sich hinein in fundamentale Kapitalismuskritik: Es gebe Menschen erster und zweiter Klasse und es würde immer schlimmer werden. „Warum muss Fraport immer reicher werden?“ fragt eine Dame eine Frage, die ihr niemand der Anwesenden beantworten kann. Ich frage, ob für sie Andrea Ypsilanti eine bessere Ministerpräsidentin werden würde, als es Roland Koch ist. Die Gruppe ist sich einig: „Der hat doch zuviel Dreck am Stecken!“ Dann sagt ein skeptischer Herr: „Hinterher weiß man mehr.“

y14.jpg

Wir kommen nach Sachsenhausen. Jetzt ist Petras große Stunde. Die selbsternannte „Bembel-Queen“ führt ganz persönlich in ihren Stadtteil ein. „Ich kenne Sachsenhausen seit 20 Jahren und will nirgendwo anders mehr leben,“ bekennt sie. „Wie langweilig!“ tönt es aus der Ecke der Genossen. „Das Schicksal ist schon lustig: Vor zehn Jahren haben Andrea und ich noch hier gemeinsam unsere Kinderwagen geschoben. Wer hätte gedacht, dass wir heute hier Wahlkampf machen würden?“ Petra offenbart uns auch den tieferen Sinn dieser Rundreise, die sich hoffentlich bald dem Ende zuneigt. Sie habe den Ebbelwei-Expreß gewählt, um zu zeigen, dass man mit der Bahn überall gut hinkommen würde und sie so das Fortbewegungsmittel Nummer Eins sei. Petra will dafür sorgen, dass es auch so bleibt. Wir erfahren, dass Sachsenhausen schon sehr lange eine Bahn gehabt habe und das sei „auch gut so“. (Ich unterdrücke ein Stöhnen.) Petra zählt die weiteren Vorzüge ihres Wohnortes auf und erklärt den Unterschied zwischen „Hibbdebach“ und „Dribbdebach“: „Dribbdebach ist hier und Hibbdebach ist da wo C&A und die Zeil sind und das Zeug, das man nicht immer braucht.“ Leider habe Sachsenhausen noch kein „Stadtwappen“ (?!), „aber was nicht ist, kann ja noch werden.“ (Ich unterdrücke einen Schrei.) Zum Schluss wird Petra noch einmal sentimental: „Andrea, ich finde es ganz toll, dass du gekommen bist.“ Heimatgefühle und traute Zweisamkeit. Ach ja, Petra will auch die Studiengebühren wieder abschaffen.

y11.jpg

Anschließend folgt die Überraschung des Abends: Aus dem Lautsprecher erklingt das Lied „Hey Joe“ von Jimi Hendrix – einfach so. Ich kann es kaum glauben, doch es ist wahr. Balsam für meine Ohren. Danach läuft „Stairway to Heaven“ von Led Zeppelin und ich frage mich, wie wir zu einem solchen glücklichen Zufall kommen. Das Glück ist jedoch nicht von Dauer. Das Lied (immerhin acht Minuten lang) bricht ab und einmal noch läuft „Die Zeit ist reif“. Ich resigniere, setze mich an einen leeren Tisch und fange gefrustet an, die Gratis-Brezeln zu futtern, die in Tüten zu den Getränken gereicht wurden, während wir von dem nicht angefahrenen Oberrad hören, es sei kein besonders schöner Stadtteil, aber dafür einer mit Herz. Außerdem stünde Oberrad ganz im Zeichen der Grünen Soße. Es ist auch gut zu wissen, dass im Winter der Schnittlauch aus Bali komme. Vor der Rückfahrt findet noch einmal eine kurze Raucherpause statt. Ypsi hat sich zu den Nachtflug-Gegner gesetzt und ihnen ein offenes Ohr geschenkt. Vielleicht auch ein Versprechen. Sie scheinen wieder besänftigt.

y15.jpg

18.35 Uhr. Endstation am Hauptbahnhof. Ein schon zu Beginn ausgestiegenes Kamerateam fängt die Ankunft an der Haltestelle ein, um anschließend so zu tun, als ob sie die ganze Fahrt mitgemacht hätten. Die noch übrig gebliebenen Fahrgäste steigen aus. Ypsi und Petra verabschieden sich. Vergangen sind zwei Stunden voller Smalltalk und Wahlkampfslogans, übriggeblieben sind nur leere Flaschen, Äppler- und Brezelfahne. Alle scheinen zufrieden. Ypsi hat also uns allen einen Vorgeschmack gegeben auf ihre Politik, die alle mitnimmt. Es bleibt nur noch die Frage, wohin uns diese Politik mitnehmen wird. Hoffentlich nicht wieder auf eine Ebbelwei-Rundfahrt...

y16.jpg
 
9. Oktober 2007, 14.29 Uhr
the luke
 
 
Fotogalerie:
{#TEMPLATE_news_einzel_GALERIE_WHILE#}
 
 
 
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Das Frankfurter Festival „literaTurm“ verspricht mit seiner exzellenten Auswahl an Gästen einen hohen Erkenntnisgewinn und Veranstaltungen an ungewöhnlichen Orten.
Text: Christoph Schröder / Foto: Timon Karl Kaleyta, Dana von Suffrin, Gabriele von Arnim, Leif Randt, Caroline Wahl, Dana Grigorcea © Doro Zinn, Ralf Hiemisch, Tara Wolff, Zuzanna Kaluzna, Frederike Wetzels, Lea Meienberg
 
 
 
 
 
 
 
Ältere Beiträge
 
 
 
 
25. April 2024
Journal Tagestipps
Pop / Rock / Jazz
  • The Dorf
    Theater Rüsselsheim | 20.00 Uhr
  • Telquist
    Zoom | 19.00 Uhr
  • Endless Wellness
    Mousonturm | 20.00 Uhr
Nightlife
  • Afterwork Clubbing
    Gibson | 22.00 Uhr
  • VinylGottesdienst
    Johanniskirche Bornheim | 19.30 Uhr
  • Play
    Silbergold | 23.59 Uhr
Klassik / Oper/ Ballett
  • Eliott Quartett
    Holzhausenschlösschen | 19.30 Uhr
  • Göttinger Symphonieorchester
    Stadthalle am Schloss | 19.30 Uhr
  • hr-Sinfonieorchester
    Alte Oper | 19.00 Uhr
Theater / Literatur
  • Jörg Hartmann
    Centralstation | 19.30 Uhr
  • Mike Josef
    Haus am Dom | 19.00 Uhr
  • Stephan Bauer
    Bürgerhaus Sprendlingen | 20.00 Uhr
Kunst
  • Dialog im Dunkeln
    Dialogmuseum | 09.00 Uhr
  • Friedrich Stoltze
    Stoltze-Museum der Frankfurter Sparkasse | 10.00 Uhr
  • Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager
    Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager | 14.00 Uhr
Kinder
  • Kannawoniwasein – Manchmal muss man einfach verduften
    Staatstheater Mainz | 10.00 Uhr
  • Salon Salami
    Theaterperipherie im Titania | 19.30 Uhr
  • Schirn Studio. Die Kunstwerkstatt
    Schirn Kunsthalle Frankfurt | 16.00 Uhr
Freie Stellen