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Süßer Ekel unter pinkem Kunstharz-Mond
„Das ist ja mal was ganz anderes“, sagt eine junge Zuschauerin, die mit mir zusammen die Theaterhalle in der Battonstraße betritt. Etwas treffenderes fällt mir spontan auch nicht ein. Nur werde ich mal wieder mit meinen ganz persönlichen Vorurteilen konfrontiert. Ich habe schon unterschiedliche Theatersäle gesehen, große und kleine, prunkvolle und schlichte, üppige und mickrige. Aber dieser hier sperrt sich gegen jede Einordnung - und erinnert mich dabei an ein alternatives Adventstreffen, inklusive gemeinsamem Meditieren: Glühweingeruch, überall Kerzen, ruhige Musik und in der Mitte eine weiße Kreis-Bühne. Rote Polsterstühle sind in zwei Reihen rings um die Bühne angeordnet. Und beruhigen mich: Sollte der „Wozzeck“-Abend nicht so unterhaltsam werden, wie ich mir erhoffe, dann ist zumindest für den Komfort gesorgt.
Genau wie ich warten Menschen jeden Alters. Das junge Szenepublikum dominiert, aber auch die ein oder andere Dame ist dabei und guckt, als wünsche sie sich ganz fest, dass jetzt tatsächlich das eben assoziierte Adventstreffen stattfindet.
Um kurz vor Acht schleichen die Scharen auf die Polsterstühle („Die Kleeinen nach vorne und die Großen nach hinten“, quiekt der „Jud“. Der steckt in einem alten Verkäufermantel, verkauft die Eintrittskarten und weist alles und jeden auf die flotte Klezmermusik hin, die in seinem kleinen Verkaufs-Kabuff dudelt.) Das Marketing der Gruppe scheint erfolgreich gewesen zu sein: gerade mal drei Plätze von 60 bleiben unbesetzt. Aber wen wundert es, bei so unkonventionellen Werbemethoden. Hannes Eckert, der Bruder des Regisseurs, stellt sich bei jeder Temperatur vor den Ausgang wichtiger Kulturevents in der Stadt und erzählt jedem, den es interessiert, von den neuen Plänen der „Wunschmaschinen“. Es scheint eine unausgesprochene Regel der Gruppe zu sein, dass in jedem Arbeitsschritt „die Liebe zum Detail“ nicht fehlen darf.
[credit Christoph Boeckhehler]
Es beginnt. Der große aus Kunstharz gegossene Mond glüht auf in Rottönen, atmosphärische Musik ertönt und Marie huscht auf die Bühne. Ihr Rückzugsort ist ein pinker Flokati und während ihr Mann Wozzeck sich als Soldat verdingt, hält sie sich an das gemeinsame Kind. Wie ungreifbar dieser scheinbare Halt in ihrem Leben tatsächlich ist, wird in der Inszenierung deutlich: Das Baby ist nur ein keifendes Babyfon. Verliebt schaukelt Marie das „Ding“ und lässt sich dabei auch die wildesten Bosheiten von der kleinen Rotz-Maschine gefallen.
Irgendwann macht auch Wozzeck auf sich aufmerksam. Psychisch verunstaltet von den medizinischen Versuchen, denen er sich des Geldes wegen ausliefert, versteckt er sich in einem Schrank. Er wird befreit, behält aber für den Rest des Stücks eine Hektik, die ihn unnahbar macht. Miro Kania heißt der Schauspieler und ist ein Phänomen. Einer von den Menschen, die man im wirklichen Leben oft mit hängenden Schultern und sehr nachdenklich trifft, die sich aber auf der Bühne eine völlig neue Haut aneignen können. Als Wozzeck ist er ein verwirrtes Hündchen, das völlig kopflos von einer Situation in die nächste gerät.
Wozzeck trägt so wenig am eigenen Leib, wie er auf dieser Welt besitzt: Eine weiße enge Badehose und eine ebenso enge weiße Haube. Das Unglück in der Armee wird offensichtlich. Ein völlig apathischer Kamerad (die Unterhose scheint die Uniform der Armee zu sein) baut sich ununterbrochen zwischen Spielzeugklötzchen ein. Austauschen kann sich Wozzeck mit ihm nicht, dafür ist der andere (er heißt übrigens Andres) schon zu stumpf.
Und weitere Irre lockt das Militär: Der Vorgesetzte (gespielt vom Regisseur Peter Eckert) ist ein wehmütiger alter Fettsack, der ununterbrochen sein eigenes Schicksal bejammert. Seine Heulattitüden sind wunderbar ekelhaft, genau wie das Kostüm. Charlotte Köhler hat ihm hängende Fettpolster in den weißen Schlafanzug genäht und der Bauch quillt mit langen dicken schwarzen Haaren hervor.
Schön anzusehen ist der Hauptmann: Ob Mann oder Frau - im Publikum wird sich jeder auf seine Art mit Marie identifizieren können, die sich von der schönen Franziska Ochs im Schwanen-Tänzerkostüm und mit dickem schwarzen Schnurrbart verführen lässt. Sie wirbelt und schwebt, schlägt ein Rad und schlängelt sich in Maries Wohnung, um Marie mit Heliumluftballons zu erobern.
Dies soll keine Nacherzählung werden und deswegen bremse ich mich hier. Ich empfehle jedem, sich selbst in die Battonstraße zu wagen oder zumindest einen Blick auf die Webseite zu werfen. Und bloß keine Scheu: Mit Wozzeck hatte ich mich noch nie auseinandergesetzt, aber die Inszenierung ist leicht zugänglich. Die Wunschmaschinen machen kein intellektuelles Theater, sondern ästhetisches Theater mit atmosphärischen Gefühlen. Hier mischen sich naive und lustige Elemente mit schrecklicher Hilflosigkeit. Am Ende sitzt in der Mitte ein Mörder, der es über seinen treudoofen Blick schafft, dass mir übel wird. Vielleicht geht man nicht deshalb ins Theater, vielleicht hatte ich es mir angenehmer vorgestellt. Aber irgendwie bin ich begeistert. So traurig-schönen Ekel erlebt man nicht alle Tage.
Siehe auch: Review im Theater-Journal.
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