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Foto: Mathias Bothor
Foto: Mathias Bothor

Selig kommt in die Batschkapp

Gemeinsam neue Visionen entwickelt

Die deutsche Band Selig hat mit „Kashmir Karma“ ein neues Album aufgenommen und am 10. November beginnt ihre lange Deutschland-Tournee in Rostock, in deren Verlauf die Hamburger am 16.11. auch in die Batschkapp kommen.
Auf ihr verflixtes siebtes Album „Kashmir Karma“ haben sich Selig in alle Ruhe in einem idyllischen Haus in Schweden vorbereitet. Ohne Plattenfirma und Management im Rücken folgten Sänger Jan Plewka, Gitarrist Christian Neander, Bass Leo Schmidthals und Schlagzeuger Stoppel Eggert einzig ihrer Intuition und ihren Inspirationen und nahmen elf neue Lieder auf, deren Energie ans psychedelische Debüt von 1994 erinnert. Und prompt meinte ein schwedischer Freund, Selig hätten den guten, alten Krautrock im Blut. JOURNAL FRANKFURT sprach mit Leo Schmidthals über die neue Karrierephase.

JOURNAL FRANKFURT: Dass sich mit Selig eine deutsche Band unverhofft mit dem Begriff „Krautrock“ schmückt, ist eine echte Überraschung. Denn eigentlich sind es die Briten, Amerikaner, ja sogar Japaner, die diese Ära der deutschen Rockgeschichte zu würdigen wissen. Hierzulande tat man sich mit dem Begriff immer eher schwer. Wie kam es zu diesem Flirt?

Leo Schmidthals: Ehrlich gesagt war es ein Schwede, der uns gesagt hat ihr müsst eure Musik so nennen. Wir haben im Haus unseres Sängers Jan und seiner Frau in Schweden unser Album aufgenommen und Martin, ein Musiker, der eigentlich Segelmacher ist, hat uns alte 50er- und 60er-Jahre-Instrumente geliehen. Dem haben wir natürlich alles immer brühwarm vorgespielt, was wir da aufgenommen haben und bei dem Stück „Unsterblich“ ist er total ausgerastet, meinte: „Hey, habt den Krautrock einfach im Blut!“. Er hat uns also drauf gestoßen.

Was macht für euch „Krautrock“ aus, was assoziiert ihr damit, welche Musiker verbindet ihr damit und warum es für euch der richtige Weg zurück zu euren Wurzeln? Zu „Kosmischen Kurieren“ seid ihr ja nicht mutiert, so ganz ohne Elektronik als Gitarrenband ...

Wir haben uns nicht wirklich all die Sachen angehört, so war das gar nicht. Natürlich war das mit Bands wie Can eine tolle Zeit, aber es ist nicht so, dass wir uns davon konkret inspirieren ließen. Das ist eher zufällig.

Psychedelisch ist ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer fällt. Psychedelisch war ja schon euer erstes Album „Selig“ 1994. Das war für die Jüngeren Post Grunge mit deutschen Texten, ältere Semester hörten Jimi Hendrix, Cream und die Doors heraus? Kamt ihr über den Umweg von US-Alternative-Bands, die sich darauf beriefen, zu den alten Helden oder war es eher der Plattenschrank der Eltern, den ihr geplündert habt?

Der Vater von unserem Gitarristen Christian hat diese ganzen Sachen, Hendrix und alten Blues gehört. Das mit dieser ganzen Grunge-Welle war auch eher ein Zufall, dass wir die Gitarren auch einen ganzen Ton runtergestimmt haben und wir dann festgestellt haben, oh: Nirvana haben das auch gemacht. Es war nicht so, dass man sich das abgeguckt hat, es lag irgendwie in der Luft.

Kashmir Karma sollte mal euer Bandname werden bevor ihr euch für Selig entschieden habt. „Kashmir Karma“ heißt nun euer neues Album. Kashmir erinnert zwangsläufig an Led Zeppelin, Karma an die gute alte Hippiezeit. Aber das Karma im Namen könnte ja auch eine Art Beschwörungsformel sein. Zu Beginn einer neuen Karrierephase...

Als wir in Schweden waren, ist Trump gerade Präsident geworden ist und wir haben viel darüber gesprochen und uns gefragt: was können wir tun damit die Welt nicht nur aus Ellenbogen und Erdogans besteht und es hoffähig wird, sich gegenseitig zu beschimpfen in den miesesten Tönen, dass man sich stattdessen daran erinnert, dass es doch gut ist, freundlich, offen und ehrlich miteinander umzugehen und sich eher darum bemüht, eine Gemeinsamkeit herzustellen als die Gesellschaft zu spalten. Das ist es, was da so mitschwingt. Tue etwas was gut für dein Karma ist, damit nicht alles vor die Hunde geht. Wir können nicht einfach nur die Hände in den Schoß legen. Was wir tun können, ist Rock als Lebensgefühl zu vermitteln. Mit viel Poesie. Damit die Leute einen guten Abend haben können auf unseren Konzerten und so die positiven Energien verstärken, das Gemeinsame verstärken. Das gute Zusammenleben, das wir in Schweden hatten, obwohl wir mal im Streit auseinandergegangen waren, ja fast Feinde waren, das haben wir überwunden, sind jetzt wieder echte Freunde, sind jetzt eine Art Mini-Gesellschaft, wo das funktioniert.

Unvergessen sind Eindrücke von euren ersten Aufnahmesessions, als ihr das Hich-Tech-Studio binnen kürzester Zeit in einen lebendigen Übungsraum verwandelt habt – mit einem „Betty Blue“-Poster an der Wand überm Schlagzeug und einer Beethoven-Büste auf der Hammond-Orgel. Da war Selig ein eingeschworener Haufen enger Freunde. Durch welche Metamorphosen seid ihr als Band gegangen?

Vor drei Jahren ist Malte, unser Keyboarder, ausgestiegen, wir haben uns von unserem Management getrennt, auch von der Plattenfirma und dann ganz vorsichtig angefangen, neue Sachen zu machen. Wir sind nach Schweden gefahren und wollten mal gucken: was ist diese Band eigentlich noch? Gibt es da noch Musik, die wir gemeinsam schreiben können? Wir waren erst mal zehn Tage im Haus von Jan und Anna und dann mussten wir erst mal den Kamin anmachen, weil es kalt war, es geschneit hatte. Es war wirklich irre, weil wir uns Zeit füreinander nahmen. Wir haben gemeinsam gefrühstückt, gemeinsam gekocht, sind gemeinsam spazieren gegangen, um wieder gemeinsame Visionen zu entwickeln, Musik, die wir alle richtig gut finden. Und die war rau, pur und die haben wir live eingespielt, ohne Produzent, so wie eine Band halt eben ist. Wir wussten doch, wir sind eine geile Liveband, eine der wenigen Rockbands, die es in Deutschland überhaupt gibt, jetzt lasst uns doch einfach mal unseren Sound aufnehmen so wie er ist. Ohne alle Ecken und Kanten wegzuschleifen. Wir wollten, dass man diese analoge Begegnung, die wir vier Charaktere da im Wohnzimmer hatten, in diesem Schwedenhaus mit Kamin auch hört.

Wie muss man sich die erwähnten Ad hoc-Situationen, von denen die Rede war, vorstellen, als weinselige Jam-Sessions, die das Gefühl erster Demoaufnahmen vor beinah 25 Jahren zurückbrachten?

So ist es. Das erste Stück „Unsterblich“, das war wirklich eine Session, Das haben wir uns dann angehört und das hat uns gut gefallen. Dann habe ich das in Noten aufgeschrieben und wir haben versucht, es noch mal nachzuspielen, aber eigentlich war es eine Session. Es muss miteinanderschwingen. Und diese Momente haben wir gefunden und das wurde dann auch unser Maßstab. Alles was nicht so war, kam nicht in Frage. Wenn vier Leute in einem Raum dasselbe machen und dasselbe empfinden, dann entsteht eine besondere Energie. Diese Energie dann einzusammeln, ist eine ganz große Kraft von Musik.

Neben Grunge hat man eure Musik auch als Deutschrock, Indie und Hamburger Schule bezeichnet. Selig als reflektierende Diskursrocker, eigentlich undenkbar bei all den unverstellten Emotionen, die oft regelrecht herausgeschrien wurden. Nach dem Comeback 2008 tendierte die Musik auch deutlicher in Richtung Pop. Hattet ihr das Gefühl, irgendwann vom Mainstream vereinnahmt worden zu sein?

Auch wenn es uns nicht immer bewusst war: Gerade beim „Magma“-Album war es schon so, dass man uns bei unserer Plattenfirma immer mit Begriffe wie Radiotauglichkeit konfrontiert hat. Letztendlich funktioniert ja vieles heute so, deswegen klingt ja auch alles so uniform. Die Radiolandschaft hat sich ja auch nicht wirklich verbessert hat in den letzten Jahren. In Deutschland ist vieles ganz schön industrialisiert. Vielleicht hat das auch auf uns abgefärbt. Es ist total gesund, jetzt mutig zu sein und es macht auch total Spaß, sich auszutoben.

Es geht auf diesem Album um Leben und Tod, um Lust und Einsamkeit, um Freiheit und Gemeinschaft und natürlich um die Liebe. Und einzelne Zeilen aus den Songs lassen sich auch mit der Geschichte der Band verbinden. Von „Gefährdet, nicht geerdet“ und dem „Gespenster sehen“ als euch der Erfolg zu erdrücken drohte bis zum aktuellen „Lass Dich drauf ein, losgelöst zu sein“ – „bis die Welt sich aus der Zeit dreht“ und man „den tieferen Sinn der Reise“ erkennt, um sich gemeinsam „unsterblich zu fühlen“. Mit diesen Textzitaten kann man sich die Karriere zusammenreimen.

Das klingt doch schön.

Selig, Frankfurt, Batschkapp, 16.11.2017, 20 Uhr, Eintritt: 32 Euro
 
9. November 2017, 10.09 Uhr
Detlef Kinsler
 
Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt. – Mehr von Detlef Kinsler >>
 
 
Fotogalerie:
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