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Punkkonzert für Alte
„Ein kleiner Bummel über den Weihnachtsmarkt“ ist schon ziemlich anstrengend und in seiner Wirkung eher provozierend als beruhigend. Zumindest für mich. Weihnachststimmung auf Knopfdruck fand ich immer schon zu viel verlangt und habe aus dem Grund vor einigen Jahren gerne Heiligabende boykottiert. Besonders eignet sich dazu: Überernste Diskussionen über Weihnachtslieder, extra schiefes Singen und dumme Kommentare zu den herausgeputzten Lächeln der Familie. Cool fand ich mein Verhalten nicht, aber diese Aggressionen ließen sich nicht zurückhalten.
Zum Glück bin ich über diese „Nix-mas“ - Phase hinweg und gönne denen, die das große christliche Fest für wichtig halten, ihren Spaß.
Trotzdem, Weihnachtsmärkte meide ich eigentlich, man muss den Teufel ja nicht herausfordern. Diese Jahr geht das leider nicht: Ich werde fieserweise gezwungen, die Eröffnungsveranstaltung mitzuverfolgen [Anm. v. Nils: Von mir. Und es hat Spaß gemacht ;)].
Bei Regen auf dem Römer. Höchstwahrscheinlich bin ich der einzige Weihnachtsmarktfanatiker, der sich keinen Schirm mitgebracht hat. Und nach langem Suchen der Bühne, fällt mir auf, dass ich fast über den Schirmen laufe. Die Menschen um mich rum sind also sehr klein, auffällig klein. Wieso? Ich hebe ein Plastikmodell hoch. „Hey“, quiekt es. Und ich gucke unter andere Schirme und merke, wo ich wirklich gelandet bin: In einem Weihnachtsparadies für Menschen ab 60.
Ich kämpfe mich weiter bis zur Bühne, kriege dabei Schirme ins Gesicht, Schirme an den Hinterkopf, Schirme in die Seite. Und je mehr ich mich dem Highlight des Römerbergs näher, um so wilder wird es. Gezeter an allen Fronten, eine etwa 70-Jährige beschimpft eine 50-Jährige: „Diese unverschämten jungen Leute. Kommen Sie das nächste Mal doch auch schon um 14 Uhr!“
Irgendwann geht es nicht mehr weiter, die ganzen kaputten Schirme mit ihren spitzen Stangen machen mir und meinen Augen Angst. Also bleibe ich stehen und stelle fest, dass eine kleine Frau hinter mir Spaß daran hat, mit ihrem Schirm an meinem Po herumzuhantieren. Ich drehe mich um und sehe ihre glänzenden Augen auf die Bühne gerichtet. Naja, abwesende Melancholikerin, denke ich, und bekomme wieder den Schirm zu spüren. Gute Taktik, Mütterchen: Menschenmassen, um anonym seine kleinen Perversitäten auszuleben.
Der Punk geht weiter, als der Tiroler Landeshauptmann das Wort ergreift. „... Und weil die Frau Oberbürgermeisterin eine so tolle und liebe Frau ist, werden Sie sie auch alle bei der nächsten Wahl nicht im Stich lassen.“ Gebrüll aus den grauen Reihen. Fliegt da nicht eine Bierflasche? Nicht weit weg, auf dem Dach der Nikolaikirche sehe ich Polizei. Falls einige Damen und Herren zu übermütig werden, kann also eingegriffen werden, denke ich beruhigt. (Es handelt sich aber um eine Anti-Weihnachtsmarkt-Aktion. Der Pfarrer der Kirche hatte für einen menschengroßen Osterhasen gesorgt, der vom Dach herab die ironische Nachricht des Pfarrers verkünden soll: Wenn Weihnachten schon so früh eingeläutet wird, kann Ostern jetzt auch schon kommen. Um keine Verwirrung bei dem betagten Publikum auszulösen, wurde verständlicherweise die Polizei auf das Häschen losgelassen.)
Als die Oberbürgermeisterin an der Reihe ist, baut sie sich dramatisch vor uns auf. Streng guckt sie, wie immer, und bewahrt Haltung in ihrem langen Trench-Coat, während das Gebrüll der Meute („Schirm zu“) langsam verebbt. Einige Zuschauer kieksen sogar erschrocken. Weil das Mikrofon zu leise ist („Lauter!“ brüllen die Rüstigen) schreit sie Glückwünsche und Danksagungen ins Mikrofon. Ihre tiefe Stimme und ihr oft etwas trockener Tonfall sind perfekt dafür, alle lieben den Rowdie Petra.
Leider geht der Schirmpogo weiter bis die Jungen Tenöre auftauchen. Die singen zu Klavierbegleitung Weihnachtslieder und andere Klassiker. Aufbruchsstimmung, nach Petras Stimmungsmache ist das den meisten bestimmt zu lasch. Dann lieber ein paar Glühwein saufen und die Frau mit den gezuckerten Mandeln anpöbeln. Und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich an Weihnachten nicht sentimental werde ...
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