Newsletter
|
ePaper
|
Apps
|
Abo
|
Shop
|
Jobs

"Meine Eltern sind modern"

Avni Yerli

Ein Gespräch mit Avni Yerli, Managing Director der Crytek GmbH, über die Computerspielbranche, Familie und die Diskussion um kriminelle Ausländer.

Pflasterstrand: Ihr habt mittlerweile in Frankfurt, Kiew und Budapest über 200 Mitarbeiter aus 27 Nationen. Darunter auch einige, die keine geeignete Ausbildung, aber viel Talent haben. Wie schafft Ihr es, die zu finden?


Avni Yerli: Zum Beispiel durch Praktika. Die dauern bei uns ein Jahr, wir stellen eine Unterkunft zur Verfügung, Verpflegung und ein schönes Praktikantengehalt. In diesem Jahr geben wir ihnen die Möglichkeit dem Team zuzuarbeiten und dadurch auch die Kenntnisse aus ihrem Hobby zu professionalisieren. Am Ende entscheidet sich dann, ob er ins Team wechselt oder ob er sein Internship noch um einige Zeit verlängern möchte.

Gibt es viele Menschen, die die Computerspielkunst so lernen?

Mittlerweile haben wir durch dieses Programm etwa 20 Leute aus Italien, Großbritannien und Skandinavien erfolgreich integriert.

Ein Informatikstudium muss man also nicht unbedingt haben, um bei Crytek anzufangen?

Nein. Der Vorteil bei Uni-Absolventen ist natürlich, dass sie strukturierter denken. Aber auch, dass sie reifer sind. Sie durchschauen Prozesse, haben eine ganz andere Weltanschauung. Das spiegelt sich auch in der Arbeitshaltung wider. Aber wir benötigen nicht überall Akademiker. Aus anderen Ecken kommen oft auch ganz interessante Impulse. Wir haben zum Beispiel das Portal Crymod.com, auf dem unser Spiel nach Belieben verändert werden kann. Dort stellen wir Tutorials ein und Entwicklerprogramme. Die Nutzerzahlen sind wirklich sehr, sehr gut. Primär ist natürlich das Ziel eine Community zu bilden. Sekundär gibt es uns die Möglichkeit Talente zu finden.
Wir hatten mal den Fall, dort auf ein Wahnsinnstalent zu stoßen. 16 Jahre alt, geht noch aufs Gymnasium. Der hatte den Internship-Vertrag schon unterzeichnet, als wir mitbekamen, dass er das Gymnasium schmeißen wollte. Wir haben uns dann mit seinen Eltern zusammengesetzt und sind übereingekommen, dass er erstmal Abitur macht. Wir sind mit ihm aber in Kontakt, schicken ihm ab und an mal neue Hardware - und zeigen ihm, dass die Türen nach wie vor für ihn offenstehen.

Mittlerweile, nicht zuletzt durch den Riesenerfolg von Crysis, seid Ihr in der Games-Branche weltweit bekannt. 1999, am Anfang, war das noch anders ...

Ja, da waren zunächst nur wir drei Brüder. Crytek ist ja entstanden als virtuelle Plattform, eine Interessengruppe. Wir hatten auf dem Portal damals schnell eine Menge von Leuten, mit denen wir uns regelmäßig ausgetauscht haben. Wir haben angefangen drei Demos zu programmieren mit Leuten, die wir noch nie vorher gesehen hatten. Wir hatten einen Projektmanager, Lead-Programmierer, Künstler - wir haben ohne viel nachzudenken einfach losgelegt. Gezahlt haben wir das aus eigener Tasche, aus Beruf oder Selbständigkeit. Auch unsere Eltern haben uns unterstützt.

Haben die das verstanden?

Die wussten nicht genau, was wir da machen. Aber gesehen, dass Computertechnologie die Zukunft ist. Da haben sie uns vertraut. Die Anfänge waren dennoch nicht leicht. Insbesondere haben wir gemerkt, dass Firmen wie die Grafikkartenhersteller, die an unseren Demos interessiert waren, klare Ansprechpartner haben wollten, keine virtuelle Plattform. So haben wir uns auch professionalisiert, haben Ende 99 schließlich Crytek gegründet. Dann haben wir uns auf Kapitalsuche gemacht, haben lange Businesspläne geschrieben, einen Hochschulgründerpreis gewonnen in Bayern, so ziemlich alles mitgemacht, was ging, aber keinen Finanzier gefunden. Einige Interessenten gab es, doch die haben letztendlich nicht ganz verstanden, worum es da eigentlich geht. Dann kam auch noch die Internetblase, das war ein weiterer Rückschlag.

Dennoch fiel doch 2000/2001 der Startschuss für das Unternehmen ...

Richtig. Im Frühling 2000 waren wir auf der weltgrößten Spielemesse, der E3 in Los Angeles. Unser Geld war da fast alle, ich glaub, wir hatten nur noch um die 15.000 D-Mark auf dem Konto. Wir haben uns gesagt: Da müssen wir hin, egal, was es kostet. Also sind wir hin. Ohne Termine. Und ohne Vorregistrierung für Entwickler mit der wir kostenlos reingekommen wären. Wussten wir nicht. Und dann hieß es am Eingang: 250 Dollar pro Person. Das hat richtig wehgetan, richtig wehgetan. Wir haben dann erstmal unser Hotel in Messenähe umgebucht und waren in irgendeinem Motel in einem spanischen Viertel.

Hört sich eigentlich ganz witzig an.

Das war es auch. Aber auf der Messe hatte keiner ein Ohr für uns. Alle waren in irgendwelchen Meetings. Beim Grafikkartenhersteller Nvidia waren wir dann sehr energisch, haben gesagt: schaut Euch unsere Demo an. Das war zehn Minuten vor Messeschluss. Schließlich meinte der Mann: "Okay, Leute, Ihr wart heute schon zehnmal da, jetzt schau ich's mir an." Der war dann baff - wir hatten in der Demo erstmals Outdoor-Szenen, was es bis dato nicht gab, schon gar nicht in dieser Qualität. Dann kam noch ein glücklicher Zufall dazu: eine Gruppe von Presseleuten hat genau zu dieser Zeit den Stand besucht. Danach haben wir sehr, sehr viele Gespräche geführt und schließlich die Demo über unsere Internetplattform weiterentwickelt.

Wann kam der erste kommerzielle Auftrag?

Ende 2000 haben wir von Nvidia 70.000 Dollar bekommen, um eine Demo zu produzieren. Von dem Geld konnten wir die ersten Leute einstellen. Das war ein Este, ein Engländer und ein Spanier, die dann nach Coburg gezogen sind. Januar 2001 haben wir die Demo ausgeliefert, Dinosaur Island hieß die, ist damals ziemlich eingeschlagen. Aber es war kein Spiel, was wir ja eigentlich machen wollten. So kam schließlich der Kontakt zum französischen Konzern Ubisoft zu Stande - zehn Monate haben wir über einen Vertrag mit denen verhandelt. Geld für einen Anwalt hatten wir nicht, also mussten wir uns selbst in das Vertragsrecht reinknien. Zur Vertragsunterzeichnung sind wir von Coburg nach Paris gefahren, über zehn Stunden ohne zu schlafen, neun Uhr sind wir ins Meeting, abends waren wir fertig, aber dann ging der Drucker nicht, doch wir wollten unbedingt diesen Vertrag. Als wir noch am gleichen Tag zurückfuhren, waren wir hellwach. Uns war klar: jetzt müssen wir auch liefern.

Wie ist das, einen Multi-Millionen-Vertrag abzuschließen?

Es war eine sehr intensive Zeit. Innerhalb von neun Monaten haben wir 36 Mitarbeiter eingestellt, haben die vom Flughafen abgeholt, mit Maklern verhandelt, mit Behörden, um Arbeitserlaubnisse zu bekommen. Wir wussten auch nicht genau, wie man so ein großes Projekt angeht, was zur Folge hatte, das wir noch mehr gearbeitet haben. Und natürlich auch viele Fehler gemacht haben. Genau drei Jahre nach dem Vertragsabschluss, am 23. März 2004 ist dann Far Cry erschienen. Ubisoft hat uns damals viel Vertrauen geschenkt - letztendlich hat es sich für beide Seiten gelohnt.

Unter Geschwistern gibt es ja oft Streit. Ihr arbeitet immer noch zusammen - wie habt ihr das geschafft?

Wir haben eigentlich nie untereinander richtig Zoff gehabt. Natürlich haben wir uns auch als Kinder mal gestritten, aber so, dass man sich nie mehr sehen wollte, das gab es nicht. Im Gegenteil: als wir 15, 16 waren haben wir viel zusammen gemacht, Fußballspielen nach der Schule und so weiter. So um 97 herum hatten wir den Gedanken, was zusammen machen zu wollen - auch beruflich. Wir sind Freunde. Wir haben großes Vertrauen und auch Respekt. Das ist eigentlich das Wichtigste. Und wenn es mal Meinungsverschiedenheiten gibt, verlassen wir uns auf Mehrheitsentscheidungen, schließlich sind wir zu dritt. Einen Punkt möchte ich dazu noch sagen: Erfolg ist planbar. Ein erfolgreiches Spiel zu machen, kann man planen.

Ist das auch etwas, was Euch Eure Eltern mitgegeben haben?

Meine Mutter war Näherin in einer Polsterfabrik, mein Vater Polsterer. Jetzt sind sie in Rente. Sie haben uns mitgegeben, dass wir das, was wir machen, korrekt machen. Nichts was in irgendeiner Weise kriminell ist. Seid aufrichtig, seid anständig.

Haben sie ein traditionelles Weltbild?

Meine Eltern sind in dem Sinne traditionell, dass sie sich in einem kleinen, familiären Umkreis aufhalten. Sie kommen vom Schwarzen Meer, einem Ort mit 80.000 Einwohner. Aber von der Weltanschauung her sind sie absolut modern. Im Jahr 1994 zum Beispiel, da habe ich gerade mein Diplom geschrieben, hat mein Papa uns einen PC gekauft, der damals 7000 Mark gekostet hat - sprich: drei Monatsgehälter.

Sehr ungewöhnlich.

Genau, vor allem weil es eine Sache war, die er nicht versteht. Eine Kiste, ein paar Kabel und Komponenten und das kostet soviel Geld. Da haben er und meine Mutter schon sehr weitsichtig gedacht.

Derzeit wird viel über Ausländerkriminalität diskutiert. Beschäftigt Dich das auch?

Natürlich. Klar ist, dass jede Art von Kriminalität verurteilt werden muss. Ausländer oder nicht, spielt eigentlich keine Rolle. Was ich dabei immer traurig finde, dass dann solche Forderungen nach Abschiebung und Erziehungslagern erhoben werden. Für mich ist das ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Um ein Gegenbeispiel zu nennen: unter unseren Auszubildenden sind drei Hauptschüler, die keinen Job bekommen haben. Bei einem hat sich der Lehrer sogar beschwert, warum wir den einen genommen haben und nicht einen anderen Schüler, der bessere Noten hatte. Uns wurde sogar unterstellt, wir würden ihn bevorzugen, weil er türkischstämmig ist. Dabei ist uns das egal - wir beschäftigen Leute aus 27 Nationen, unsere Arbeitssprache ist englisch. Wir haben gesehen: einen Ausbildungsplatz wird er woanders nicht bekommen, auf der anderen Seite hat er eine hohe Affinität zu Spielen. Er wollte Leveldesign machen, so dass wir ihm schließlich eine Ausbildung angeboten haben, die er mittlerweile auch abgeschlossen hat. Er ist nach wie vor bei uns beschäftigt.

So schlecht kann er ja nicht sein ...

Richtig, der Lehrer hat eben nur auf die klassischen Schulnoten geschaut, wir haben da noch etwas anderes gesehen. Talent. Was ich sagen will: Ausweisung halte ich für schwachsinnig. Ich stelle fest, dass man ausländischen Jugendlichen gegenüber sehr verschlossen ist, ihnen den Berufseinstieg zu ermöglichen. Das ist natürlich keine Entschuldigung für ihr Verhalten, dafür ist zu großen Teilen auch das Elternhaus verantwortlich. Da muss man ansetzen. Aber bei der Berufswahl werden einige ausländische Kinder benachteiligt - das kann zu einer Isolierung führen.

Auf Haupt- und Realschulen ist der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund oft besonders hoch.

Das hat aber auch seine Gründe. In meinem Verwandtschaftskreis ist ein Junge, dem die Lehrerin sagte: warum willst Du unbedingt auf die Realschule, das wird doch eh nix. Einem Zwölfjährigen mit solch einem Vorsatz zu kommen, kann doch nicht sein! Mittlerweile studiert er an der FH Betriebswirtschaft. Eine Bezugsperson für die Kinder ist doch oft der Lehrer. Wenn diese Mentorfunktion fehl schlägt, endet das nicht zwangsläufig in Straftaten, aber in Ausgrenzung.

Heißt das, die Integrationsfrage wird falsch gestellt?

Was heißt schon Integration? In den USA springen alle, Latinos, Asiaten und Iren auf, wenn die Nationalhymne erklingt. Hier ist das nicht so, was vielleicht auch damit zusammenhängen könnte, dass man Migranten die Anerkennung teilweise verweigert. Wenn hier Straftaten begangen werden, dann geht die Reaktion von Medien und Politik stets in die gleiche Richtung. Ich frage mich dann, was dies bezwecken soll. Man spaltet die Bevölkerung, weiter nichts. Durch die Berichterstattung großer Zeitungen schauen dann alte Menschen einen Farbigen in der U-Bahn wieder komisch an.

Im JOURNAL FRANKFURT vom 22. Januar 2008 befindet sich in unserer Rubrik Gesichter der Stadt ein Porträt der drei Brüder und ihrer Firma.

Foto: Harald Schröder
 
22. Januar 2008, 12.21 Uhr
Nils Bremer
 
 
Fotogalerie:
{#TEMPLATE_news_einzel_GALERIE_WHILE#}
 
 
 
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Das Frankfurter Festival „literaTurm“ verspricht mit seiner exzellenten Auswahl an Gästen einen hohen Erkenntnisgewinn und Veranstaltungen an ungewöhnlichen Orten.
Text: Christoph Schröder / Foto: Timon Karl Kaleyta, Dana von Suffrin, Gabriele von Arnim, Leif Randt, Caroline Wahl, Dana Grigorcea © Doro Zinn, Ralf Hiemisch, Tara Wolff, Zuzanna Kaluzna, Frederike Wetzels, Lea Meienberg
 
 
 
 
 
 
 
Ältere Beiträge
 
 
 
 
25. April 2024
Journal Tagestipps
Pop / Rock / Jazz
  • The Dorf
    Theater Rüsselsheim | 20.00 Uhr
  • Telquist
    Zoom | 19.00 Uhr
  • Endless Wellness
    Mousonturm | 20.00 Uhr
Nightlife
  • Afterwork Clubbing
    Gibson | 22.00 Uhr
  • VinylGottesdienst
    Johanniskirche Bornheim | 19.30 Uhr
  • Play
    Silbergold | 23.59 Uhr
Klassik / Oper/ Ballett
  • Eliott Quartett
    Holzhausenschlösschen | 19.30 Uhr
  • Göttinger Symphonieorchester
    Stadthalle am Schloss | 19.30 Uhr
  • hr-Sinfonieorchester
    Alte Oper | 19.00 Uhr
Theater / Literatur
  • Jörg Hartmann
    Centralstation | 19.30 Uhr
  • Mike Josef
    Haus am Dom | 19.00 Uhr
  • Stephan Bauer
    Bürgerhaus Sprendlingen | 20.00 Uhr
Kunst
  • Dialog im Dunkeln
    Dialogmuseum | 09.00 Uhr
  • Friedrich Stoltze
    Stoltze-Museum der Frankfurter Sparkasse | 10.00 Uhr
  • Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager
    Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager | 14.00 Uhr
Kinder
  • Kannawoniwasein – Manchmal muss man einfach verduften
    Staatstheater Mainz | 10.00 Uhr
  • Salon Salami
    Theaterperipherie im Titania | 19.30 Uhr
  • Schirn Studio. Die Kunstwerkstatt
    Schirn Kunsthalle Frankfurt | 16.00 Uhr
Freie Stellen