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"In der einen Hand ein Stück Pflaster, in der anderen ein Stück vom Strand"

Die 68er-Wochen beim Pflasterstrand beginnen. Dies aus zwei Gründen: am kommenden Mittwochabend wird die Ausstellung "Die 68er. Langer Sommer – kurze Weile" im Historischen Museum eröffnet. Einen Teil der Ausstellung wird auch der PflasterStrand bespielen, wir hängen dort einige dutzend Titelbilder aus, die beispielhaft für den PflasterStrand und seine Entwicklung zwischen seiner Gründung im Jahr 1976 und schließlich der Fusion zum JOURNAL FRANKFURT 1990 sind.

Der zweite Grund: am Dienstag erscheint unsere Titelgeschichte "68 und die Frauen", die wir an dieser Stelle fortsetzen möchten. Mit Interviews, Hintergrundberichten und Zeitgeschichtlichem. Und natürlich laden wir jeden ein, mitzudiskutieren – über die Frauenbewegung ebenso wie über den PflasterStrand und seine Geschichte, die wir anhang ausgewählter Texte nachzeichnen wollen.

Wir beginnen die 68er-Wochen mit der programmatischen Erklärung der PflasterStrand-Redaktion, die sich in der Nullnummer des Magazins vom Oktober 1976 wiederfindet. Die vom PflasterStrand gepflegte Rechtschreibung haben wir beibehalten.


WIR WOLLEN EINE 14-TÄGIGE ZEITUNG MACHEN
Wir glauben, daß das Bedürfnis für eine Zeitung da ist. Wenn man sich die Entwicklung der letzten Zeit ansieht, dann stellt man fest daß die linke Scene in Frankfurt in tausend verschiedene Diskussionsansätze atomisiert ist. Das ist erstmal gut so, weil es Ausdruck an neuen Ideen und Richtungen ist. Die Vielfalt der Möglichkeiten, die zu entdecken sind, nachdem viele Genossen aus den Betrieben rausgehen nachdem die Alternativdiskussion angefangen hat und wir uns wieder verstärkter mit •uns selbst beschäftigen ist noch gar nicht abzuschätzen. Für alle diese Ansätze wird es keine Organisation geben, was es aber geben muß ist diese Zeitung, die die Öffentlichkeit vermitteln soll. Der totale Mangel an Öffentlichkeit in der Bewegung ist erschreckend: vor allem dann wenn heimlich, still und leise der Polizeiapparat waltet, Leute isoliert reinrutschen, von man nur um drei Ecken etwas erfährt. Oder wenn wichtige Ansätze nur deshalb kaputtgehen, weil sie völlig isoliert sind wenn Genossen, die im Beruf stehen, sich immer mehr in die Rolle des Einzelkämpfers gedrängt fühlen.

Die bisherige Idee sieht so aus von einem möglichst großen Gebrauchwertteil auszugehen d.h. wir stellen uns vor, einen möglichst großen Anzeigen-, Adressen-, Termine- und Veranstaltungsteil zu machen. Bücher und Filmbesprechungen sollen möglichst regelmäßig erscheinen: Kultur ist ein wichtiger Teil unseres Lebens.

Alternative Projekte, Zentren, Werkstätten, Läden, Gesundheitsgruppen usw. können nur dann existieren, wenn sie in einer öffentlichen Struktur eingebettet sind man muß also, wenn man die Zeitung liest rauskriegen können, wo man bei Genossen sein Auto reparieren kann, wo man drucken kann, Videofilme Informationen kriegen, Kaffee und Bier trinken, gesunde Lebensmittel, Ledersachen bekommen kann ...

Da in nächster Zeit in Frankfurt die alternativen Projekte zunehmen werden, müßte die Zeitung dabei behilflich sein, eine Infrastruktur zu vermitteln.

Es gibt sehr wesentliche Auseinandersetzungen innerhalb der Bewegung, die höchstens in den Insiderkreisen oder völlig versteckt geführt werden. Zum Baispiel zwischen Genossen, die im Beruf noch eine Chance sehen und denen, die ihn nur als Korruption begreifen. Es ist keine neue Alternativära angebrochen, die alternativen Projekte sind lediglich eine Ergänzung und Erweiterung. Die Bedingungen für den Beruf müssen ein Thema sein: Genossen, die dort arbeiten, sollen aus ihrer Ecke raus, sie sind oft die, die am meisten isoliert sind und unter dem stärksten Druck stehen.

Ganz zentral ist auch die Frage des Verhältnisses zwischen Leben und Widerstand. Wohin sollen wir mit unserer Wut, wie können wir sie auf die Straße tragen, ohne selbst daran kaputtzugehen? Es gibt Genossen, die die Beschäftigung mit ihrer Selbstveränderung entweder ganz ablehnen, weil sie tagtäglich mit Kapitalismus, Repression, Zerstörung konfrontiert werden, die mit der Alternativdiskussion nur den Ausverkauf von Widerstand verbinden. Es gibt andere, die völlig auf subjektive Erfahrungen abfahren und alles was über die totale Unmittelbarkeit hinausgeht, als aufgesetzte Politmacherei reinkriegen. Beides hat die Gefahr von selbstmörderischen Trips. Es ist eine verdammte Scheiße, wenn Genossen aus Ratlosigkeit in den Untergrund gehen. Das heißt nicht, daß militante Aktionen sinnlos sind: nur aus der Ratlosigkeit heraus werden sie das.

Wir glauben nicht, daß die Geschichte der Bewegung in Frankfurt, wo sie „Politik“ gemacht hat, d.h. auf der Straße gewesen ist und an verallgemeinerbaren Bedürfnissen angesetzt hat, vorbei ist. Wir glauben auch nicht, daß in diesem Staat nichts mehr zu machen ist. Die Frage ist nur: wie selbstbestimmt kann Widerstand sein, wie kann er Momente des Andersleben von Wohngemeinschaften bis zu gesunder Ernährung nach außen tragen.

Die Zeitung sollte also (das ist unsere Idealvorstellung) eine Darstellung und Auseinandersetzung eines Spektrum werden, daß von den Makrobioten bis zur Revolutionären Zelle reicht, daß unsere Fluchtwünsche und individuellen Schwierigkeiten ebenso aufgreift wie politische Dimensionen, die brutale Repression der Polizei ebenso wie die Selbstrepression unter uns Linken. Vielleicht kann sich durch diese Vielfalt wieder so etwas wie Identität unter uns herstellen, eine Identität, die in letzter Zeit zunehmend angeknackst war.

Bei den Überlegungen, wie so etwas zu schaffen sei, sind wir auf ziemliche Schwierigkeiten gestoßen. Es wäre gut, wenn man die Zeitung auch organisatorisch in den vorhandenen Zentren verankern würde. Wir werden dort Briefkästen aufhängen, aber wie das konkret aussehen kann, ist uns noch reichlich unklar.

Wir wollen eine Zeitung machen, die von denen getragen wird, die in Frankfurt die Auseinandersetzungen und Entwicklungen tragen, das heißt eine Zeitung ersteinmal für die Linke selbst. Klar werden wir sie so machen daß sie auch von weiter außen Stehenden gelesen wird. Aber der Gebrauchswert ist sehr stark davon abhängig, wie WIR unsere Probleme artikulieren können. Die alternativen Projekte müßten zum Beispiel ihre Schwierigkeiten, die sie einerseits mit dem Zwang, Geld zu verdienen und andererseits mit ihren Ansprüchen, anders zu leben, thematisieren. Andere sollen es lesen und daran lernen. In Kampagnen könnte die Zeitung eine organisatorische Funktion übernehmen.

Das alles ist, finden wir, bei den beiden in Frankfurt existierenden Zeitungen nicht der Fall. In der Hauptwache werden aufgrund ihres Konzepts, an angelinkste Bürger gerichtet zu sein, Schwierigkeiten nicht angesprochen. Die AZ ist, scheint uns, von den realen Prozessen ziemlich weit entfernt, richtet sich aber an einen Kreis den wir wahrscheinlich nicht erreichen werden. Beide Zeitungen sind für sich sicher notwendig, wir können uns eine Ergänzung vorstellen und wollen nicht gegen sie arbeiten.

Wir wollen eine schöne Zeitung machen, das heißt, wir wollen einigermaßen Sorgfalt auf das Layout verwenden und wir wollen wirklich regelmäßig alle 14 Tage erscheinen weil das einen wesentlichen Teil der unmittelbaren Gebrauchswert des Kinoprogramms und der Anzeigen zum Beispiel ausmacht. Die Erfahrungen bei anderen Zeitungen zeigen, daß es eine feste Redaktion geben muß, die koordiniert und ab und zu von sich aus wichtige Themen angeht. Das alleinige Warten auf die Artikel ist meistens so zufällig obwohl wir glauben und hoffen (inbrünstig) daß viele Leute Interesse haben, zu schreiben.
Es könnte also so aussehen daß um einen Kern von Redaktion herum viele Leute mithelfen, zum Beispiel indem sie Interviews machen, Kontakte knüpfen usw. Vielleicht wird dabei aus dem Zeitungsmachen eine interessante Erfahrung. Mit dem Problem des Abhebens der Redaktion werden wir uns aber wahrscheinlich permanent auseinandersetzen müssen.

Wir haben bevor wir diese Null-Nummer gemacht haben lange diskutiert wie man das Projekt am besten anfangen kann. Dabei ist uns manchmal ganz schön mulmig geworden: Kein Wunder. Wir haben uns in sehr unterschiedlicher Zusammensetzung erst dreimal getroffen und sind noch viel zu wenige. Die Diskussionen waren ziemlich chaotisch.

Das größte Problem ist, daß wenn man einfach anfängt zu produzieren, eine kurze und knappe Polarisierung erzeugt. Einige, die sie gut finden, kaufen und lesen sie vielleicht, aber die meisten denken sich: „schon wieder ne Zeitung“ und sind schon sauer auf die Macher, auch wenn diese Mitmachappelle meist sehr moralischer Art verbreiten.

Andererseits wollten wir aber nicht einfach ein Laberflugblatt machen, zu einer Diskussion einladen, auf der dann vielleicht hundert Leute sind, die noch viel konfuser diskutieren, als wir es schon im kleinen Kreis waren.

Deshalb ist diese Null Nummer ein Versuch eine Richtung vorzugeben. Wir haben erst einmal zusammengesammelt was uns in die Finger kam, sind dabei ziemlich zufällig vorgegangen. Es fallen deshalb noch ziemlich viele Sachen raus; es gibt auch noch keinen Kino- und ANzeigenteil, von vielen Bereichen ist noch gar nichts drin.

Wir werden jetzt erstmal gründlich Pause machen, in der strukturiert Diskussionen geführt werden sollen und die Leute sich zusammenfinden können die mitmachen wollen. Wir fänden es irre gut, wenn Genossen/innen die Grafik, Layout, Comics, Fotos, Artikel, Fotomontage machen wollen, die sich mit Interviews auseinandersetzen wollen, am Vertrieb oder einfach mitdiskutieren wollen, zu den Terminen kommen. Mit euch zusammen wollen wir dann strukturierte Diskussionen führen, neukonzipieren und erst einmal für die Schublade produzieren. Wir brauchen ein Büro, ein Telefon, Schreibmaschinen, Beziehungen, Material, Archiv und Geld. Und eine Redaktion.

In ein oder zwei Monaten, je nachdem, werden wir dann voll loslegen. In der einen Hand ein Stück Pflaster in der anderen ein Stück vom STrand.

P.S.: Der Preis von DM 2 klingt etwas unverschämt, ist es aber nicht. Wir nehmen euch dafür nur einen Halben innerhalb von 14 Tagen weg. Wir haben hin und her ge-rechnet: 1,50 DM würde geradeso die Kosten decken, und für das ganze Zeuge, was wir jetzt am Anfang anschaffen müßten würden wir draufzahlen. Wenn die Auflage über 3500 ist, wären wir vielleicht die erste Zeitung die den Preis senkt Aber bis dahin .. !?
Der Name Pflasterstrand ist auch nicht unbedingt endgültig. Wir finden ihn schön und auf jeden Fall besser als ein allgemeiner Name wie „Frankfurter Spontizeitung“ und ähnliches. Aber vielleicht fällt jemand noch was besseres ein ...

Quelle: Pflasterstrand, Nullnummer, Frankfurt am Main, Oktober 1976, Seiten 2 und 3
 
27. April 2008, 19.52 Uhr
Nils Bremer
 
 
Fotogalerie:
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