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Im Papiergewitter (I)

Pflasterstrand Nummer 1391982 erhielt der Schriftsteller Ernst Jünger in der Frankfurter Paulskirche den Goethepreis der Stadt. Darum entsponn sich damals eine heiße Diskussion, ob denn dieser Kriegsautor ("Stahlgewitter") diesen Auszeichnung verdient habe. Der Pflasterstrand druckte damals einen "empörten Rundumschlag" der Grünen ab. Im darauffolgenden Heft nahm neben Emil Nichtsnutz und C. Sciolti auch Joschka Fischer Stellung zu solcherart Kritik. Im Vorspann zur Debattenstrecke "Im Papiergewitter" heißt es: "Es hat sich eine eigenartige Fundamentalopposition von Grünen und SPD, voran die unsägliche Frolinde Balser, gegen die Verleihung an ausgerechnet Ernst Jünger gebildet. In diesem Gezacker hat Walter Wallmann leider Gottes die besseren Argumente." Nun aber genug der Vorrede, es folgt Fischers Artikel "Der Kampf als inneres Erlebnis", in dem er auch beschreibt, welchen Einfluss Jünger auf ihn und die Studentenbewegung hatte. Hier der erste Teil des Aufsatzes.


Wider den moralisierenden Saubermann in der Kulturpolitik
Frankfurt hat seinen kulturpolitischen Skandal in diesem langweiligen Sommer. Und als hätte er es geahnt, der Schuft, bringt Jüngers Verleger, Ernst Klett, zur rechten Zeit eine wohlfeile Ausgabe von dessen Buch „Der Arbeiter“ auf den Markt, mit welchem, laut grüner Anklageschrift, der zu Preisende die Nazis beflügelt und gar noch überboten hat. (In jeder linken und alternativen Buchhandlung die auf sich hält, liegt das adrett gemachte Bändchen zum Kauf aus.)
Rüstige Rentner und überlebende Weltkriegsteilnehmer griffen noch einmal – ein letztes Mal? – zur Feder und warfen sich für die „angegriffene und verletzte Ehre des Majors Jünger in die Bresche der Leserbriefspalten oder wandten sich direkt an ihn, um ihm Mut zuzusprechen, daß er den Preis ja annehmen möge. Einer hat sich darüber sicherlich und vielleicht auch zum letzten Male gefreut, Ernst Jünger nämlich, denn noch einmal ging es um sein einziges großes Thema, um den eigentlichen Gegenstand seiner Bücher, um ihn selbst nämlich. Noch einmal drehte sich die Bildungsrepublik um den stählernen Narziß im Greisenalter, und allein der gelungene Fez um seinen Preis macht ihn in meinen Augen preiswürdig.

Den Jokus etwas beiseite gerückt – geärgert habe ich mich über das Verhalten der grünen Volksvertreter. Sie haben eine zehnseitige Anklageschrift gegen einen Literaten und dessen Bücher verfaßt, gekleidet in die Form eines parlamentarischen Antrags, und wenn es mir bei etwas übel aufstößt, so sind es politische Anklageschriften gegen Literaten und ihre Bücher, gleich welcher politischen oder kulturellen Tendenz sie angehören. Der grüne Antrag verbreitet ein penetrantes Düftchen von Zensur, selbst wenn dessen Autoren wortreich erklären, daß Jünger schreiben und veröffentlichen könne, was er wolle, preiswürdig sei seine Kriegsverherrlichung und sein Antihumanismus in einem demokratischen Staatswesen aber durchaus nicht. Nun, vom Ehr- zum Schreibverbot ist es oftmals nur ein kurzer Weg, allzukurz, wie die Erfahrung lehrt; sobald die Machtverhältnisse die Gesinnung einholen, ist es dann soweit und gute Gründe finden sich allemal. Solange in einer Demokratie ein Autor für seine Schreibe Leser und Juries findet, so steht ihm nach Brauch und Herkommen der erlauchte Lorbeer nebst Geldsegen zu. So lauten nun einmal die Spielregeln, sollten sie zumindest lauten, egal, was man von dem jeweiligen Autor und seinen Werken hält.

Hinter dieser Regel verbergen sich keineswegs nur Gesinnungslosigkeit und mehrheitliche Herrschaftsansprüche im Gewande eines demokratischen Formalismus, nein, ich halte ein solches Verfahren für überaus weise und sehe in ihm einen unverzichtbaren Bestandteil demokratischer Kultur. Denn sie vermag zweierlei sicherzustellen: sie zwingt zu einer kultur-politischen Toleranz, die gerade den Parteigängern politischer Tendenzen oftmals gewaltiges Zähneknirschen abverlangt, und sie schützt den vielgepriesenen Unterschied und die Andersartigkeit, ohne die es weder geistige noch politische Freiheit gibt.

Gewiß, die Grünen weisen jeden Zensurvorwurf entrüstet von sich, und in der Tat ist er ihnen unmittelbar auch nicht zu unterstellen. Sie scheinen bei ihrer Aktion nur nicht bedacht zu haben, daß es in diesem Lande eine unselige, alles andere als demokratische Tradition der Einmischung der Politik in die Freiheit der Kunst und der Literatur gibt. Ich will mir die ältere Geschichte Deutschlands ersparen, die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bietet genügend Beispiele, die allerdings sowohl erschrecken als auch hoffen lassen, da sie letztendlich nur geringe Wirkung zeitigten.
Teil II folgt morgen früh, Teil III dann nach Mittag.


Text: Joschka Fischer; erschienen im Pflasterstrand Nummer 139 vom April 1982, S. 13 bis 15.
 
15. April 2009, 17.30 Uhr
Pflasterstrand
 
 
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