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Foto: © Lydia Hesse/ Berlinale 2019
Foto: © Lydia Hesse/ Berlinale 2019

DOSCH@BERLINALE 2020 TEIL 3:

Hustinetten-Bär – The Movie

Die 70. Internationalen Berliner Filmfestspiele waren tierisch, findet unser Kinoredakteur Andreas Dosch. Kühe, Schweine, Käfer, schräge Vögel – und ganz viele Schlangen.
Es gibt da diesen wiederkehrenden Alptraum. Er sucht mich nicht andauernd heim, schleicht sich aber immer mal wieder in die REM-Phase: Ich komme zur Berlinale und habe ein vermodertes Hotelzimmer, aus dessen Bodengebälk Insekten kriechen. Hechelnd eile ich (komischerweise immer durch eine langgestreckte Gartenanlage) zum Pressezentrum, das aber nicht im Hyatt Hotel am Potsdamer Platz, sondern in einer Art Justizgebäude mit vielen steinernen Treppen und dicken Säulen untergebracht ist. Wie es sich für eine ordentliche Nachtmahr gehört, bin ich natürlich viel zu spät, nicht nur Stunden – Tage! Alle Tickets sind weg, die Vorstellungen haben bereits begonnen, verzweifelt breche ich im mächtigen Treppenhaus zusammen: „Was mache ich jetzt die ganze Zeit?“ (mit Hall). Psychologen bitte voran, die Bedeutung zu entschlüsseln. Doch muss ich ehrlich zugeben: Als ich dieses Jahr hier anreiste – nicht wirklich zu spät, aber der Eröffnungsfilm hatte ohne mich angefangen – und zum ersten Mal das aktuelle Programmheft durchforstete, da durchfuhr es mich ebenfalls kurz, dieses panische Bangen: „Oh Gott, wie soll ich hiermit bloß eine Woche rumkriegen?“ (ohne Hall). Ich erwähnte ja bereits, dass das Filmangebot anno 2020 nicht unbedingt lustfördernd daherkommt, eher im Gegenteil. Ich las von Krankheiten, von Tod, Totalitarismus, Beziehungsproblemen, Versagensängsten, von Rechtsruck, Gewalt, Hass und rumänischen „Gesellschaftsfresken“, in denen fünf Menschen in einem Gutshaus sitzen und sich 200 Minuten lang über just genannte Themen unterhalten. Ach du je, das wahre Leben. Fast hätte ich geweint. Dann allerdings kam mein über viele, viele Jahre innerlich gewachsener Festivalprofi durch, klopfte mir imaginär auf die Schulter, bestellte noch ein zweites Bier und salbte mich mit der einfachsten Trostfloskel ein, die es überhaupt gibt: „Alles wird gut.“

Jetzt, wo sich meine diesjährige Berlinale-Anwesenheit schon wieder dem Ende zuneigt, muss ich final konstatieren: Nö, alles wurde nicht gut. Aber so schlimm, wie anfangs befürchtet, gestalteten sich die Dinge dann auch wieder nicht. Okay, das Wetter war meistenteils ein absolutes Grauen. Ich habe wirklich noch nie in den vielen, vielen Jahren derart verregnete Berliner Festspiele erlebt. An einem der Abende hinderte mich doch tatsächlich ein ausgewachsenes Sturmtief aktiv daran, in den für diesen Termin anvisierten Wettbewerbsbeitrag zu gelangen. Das war neu. Allerdings dachte ich in diesem dramatischen Moment nicht zuallererst an mich (außer: „Scheiße! Fuck! Verdammte Kacke!“), sondern schickte mein tiefstes Mitgefühl all den armen Gleichgesinnten, die zu eben dieser Zeit bereits vor dem „Haus der Berliner Festspiele“ in einer endlosen Schlange auf Einlass hofften. Hier gibt es nämlich kein geräumiges Foyer, hier wartet man draußen vor der Tür! Was natürlich ein absolutes Luxusproblem darstellt angesichts der unzähligen Obdachlosen, die in der Hauptstadt unter gefühlt jeder S-Bahn-Brücke ihre kargen vermüllten Lager aufschlagen. Aber die hatten in diesem Moment wenigstens eine Brücke ...

Womit wir bei den positiven Aspekten der 70. Berlinale angelangt wären. Also … lassen Sie mich kurz überlegen (tick, tick, tick). Na gut: Zum Beispiel hätte ich nie erwartet, dass sich ein Film über ein gut situiertes Künstlerpaar nebst Großfamilie, bei dem die Mutter die niederschmetternde Diagnose „unheilbarer Hirntumor“ erhält, zu meinem Festivalfavoriten entwickelt. Ist aber so: Das norwegische Drama „Håp“ (Hoffnung) mit dem überragenden Hauptdarsteller*innen-Duo Andrea Bræin Hovig (keine Seite vorhanden) und Stellan Skarsgård", letzterer Berlinale-Stammgast, hat mich auf seine ebenso bewegende wie unsentimentale Art 125 Minuten lang in Herz und Seele gepackt – ein gerahmtes MRT-Bild des Berlinale-Goldbärchens wäre damit mehr als verdient. Überhaupt ist es für viele Protagonisten eher blöd gelaufen: Der pakistanisch-britische Rapper „Zed“ (Hammer: Riz Ahmed) wird im starken Panorama-Beitrag „Mogul Mowgli“ Opfer einer heimtückischen Autoimmunerkrankung. Lars Eidinger hat im eher erbärmlichen Wettbewerbsfilm „Schwesterlein“ lächerliche Perücken auf und bemitleidet sich selbst: Leukämie! Überhaupt hustet und prustet es allerorten, vornehmlich im gefüllten Kinosaal, manchmal stirbt auch jemand vor Langeweile. Das ist nichts wirklich Neues, doch hat man schon das Gefühl, die Zahl der Berlinale-Opfer nimmt deutlich zu – zumindest auf der Leinwand. Was uns zur nicht eben unrelevanten Frage führt: Wie geht die Festspielleitung eigentlich mit dem Coronavirus um? Erst mal ziemlich lax, so mein Eindruck. Zwar hängen auf den Klos Plakate mit Vorsichtsmaßnahmen, wurden Desinfektionsgel-Flaschen aufgestellt, China sagte seine Teilnahme am Film Market ab (die wirtschaftlichen Dimensionen für den Weltmarkt verheißen nichts Gutes) – mehr ist aber sonst nicht zu spüren, außer der diffusen „Mich wird’s schon nicht erwischen“-Hoffnung, obwohl die Krankheit mittlerweile nach Deutschland vorgedrungen ist. Kein Thema, um Witze zu machen. Aber Witze macht hier sowieso keiner. Kosslick ist ja nicht mehr da.

Persönlich kann ich noch nicht festmachen, ob dieser Geburtstags-Jahrgang (übrigens kein „70. Jubiläum“, nur so am Rande) ein guter oder eher mäßiger war. Aus rein subjektiven Auswahlkriterien, für die mich innerer Festivalprofi alle Verantwortung trägt, würde ich sagen: durchwachsen. So wie ein Rumpsteak im Möchtegern-Lokal. Also eigentlich wie immer. Ich sah wenige dolle Sachen („Håp“, „First Cow“), eine Menge mittelmäßige Sachen (zu viele, um sie hier aufzuzählen) und unsägliche Sachen („Schwesterlein“ – fast hätte ich „Undine“ gesagt, aber nachher gewinnt der noch was). Ein paar Promis erspähte ich auch: Jürgen Trittin am Frankfurter Hauptbahnhof, zum Beispiel, (brav: fährt Zug). Claus Theo Gärtner rauchend/Bierchen trinkend vor der „Paris Bar“, außerdem einige deutsche Akteure, deren Gesichter man kennt, die Namen aber nicht so. Hillary Clinton was here, allerdings abgeschirmt von der Security. Über sie wurde eine Dokumentation gedreht, die dauert vier Stunden. Sahra Wagenknecht gab sich ebenfalls die Ehre, ihr Doku-Porträt ist deutlich kürzer. Wie man hört, soll auch ein Angela Merkel-Film in Planung sein, ich gehe mal von mindestens 150 Minuten aus.

Wie es um die Zukunft der Berlinale steht? Na, mal gucken. Das neue Führungsduo hat einen ordentlichen, in vielen Punkten holprigen Start hingelegt, da ist noch Luft nach oben. Überall munkelt man, mit den anstehenden Umbauarbeiten am Potsdamer Platz, dem (nach wie vor seelenlosen) Herz des Festivals, könnte sich manches ändern. Erst schlossen zum Jahresende die CineStar-Kinos im Sony Center, ein echter Verlust. Dann wurde das benachbarte Einkaufszentrum geräumt (nur noch „Rewe“ und „dm“ halten wacker die Stellung). Sogar von einem drohenden Abriss des „Berlinale-Palast“ wird gemunkelt, zumindest laufen 2022 die Verträge aus. Schluck, ein Umzug womöglich?! Ich mag, wie gesagt, den Potsdamer Platz nicht. Keiner mag den. Aber das würde ich nicht verkraften. Bis dahin bleibt die abgedroschene Erkenntnis: Nach dem Festival ist vor dem Festival. Schau’n wir mal, wie lange noch. Und wissen Sie, wer dieses Jahr den Bären kriegt? Ich verrate es Ihnen: der Wolf!
 
27. Februar 2020, 12.01 Uhr
Andreas Dosch
 
 
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