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Cool Frankfurt revisited?



Heute und morgen im Atelierfrankfurt: der Kongress Re-build this City der Heinrich Böll Stiftung. Geht hin, das Programm lohnt sich. Wir dokumentieren hier ausgewählte Texte der geladenen Diskutanten. Bereits erschienen: Christiane Rösinger über die Lo-Fi-Bohème, Heike Liebmann über Stadtentwicklung unter Schrumpfungsbedingungen und Hans Joachim Kujath über die Städte der Wissensökonomie.

Frankfurt ist eine Stadt in Erwartungshaltung. Sie reklamiert Einzigartigkeit in Europa: als europäische Handels- und Messestadt des 18. und 19. Jh., fast als politische Hauptstadt der deutschen Revolution 1948/9 sowie wiederum im Gespräch 1945, als Finanzmetropole im ewigen Widerstreit um die Vorherrschaft mit London und nun, in jüngster Zeit durch den Creative Class-Protagonisten Richard Florida, als kreative Stadt. Sie ringt um die besten Köpfe, innovative Profile und urbane Unverwechselbarkeit mit Hamburg, München und sogar Stuttgart, und seit der regelrechten Berlinisierung der deutschen Kultur natürlich auch mit der Hauptstadt Berlin. Zur Diskussion steht daher das Profil einer Stadt sowie die zudem in jüngster Zeit in den Vordergrund gestellten Standortfaktoren einer kreative Stadt: Attraktivität und Zugang zu Raum, Produktivität und Wettbewerb, Netzwerke, Wandlungsbereitschaft, soziale Dichte und kritische Massenbildung, Diversität und Instabilität. Der Beitrag skizziert drei Phasen der jüngeren Frankfurter Entwicklung: Phase 1 (1980-1995) beschreibt das Frankfurter Modell „Kultur für/ durch alle“, Phase 2 (1995-2002) das Modell „Cool Frankfurt“ und Phase 3 (2003-2008) fragt nach den zukünftigen Chancen der Talentstadt Frankfurt am Main.

Kultur für alle – ein erster Rückblick

Die Skyline von Frankfurt bringt seit vielen Jahren visuell zum Ausdruck, was die 620.000-EinwohnerInnen-Stadt sein will: eine Weltstadt. Sie gilt als das Symbol eines die Stadt dominierenden Finanzkomplexes, der Frankfurts Stellung als Knoten im Netzwerk der Global Cities manifestiert. Tatsächlich zeigen die polit-ökonomischen Strukturmerkmale von „Mainhattan“ die typische Doppelausrichtung weltstädtischer Wirtschaft: Hoch und niedrig bezahlte Dienstleistungen verdrängen Berufsbilder und Einkommensquellen mittlerer Art. Einem Heer von gut ausgebildeten Finanzdienstleisterinnen bzw. Finanzdienstleistern steht eine nicht weniger bedeutende Gruppe von Reinigungs- und Servicekräften gegenüber, die mit dem hohen Anteil von Migrantinnen bzw. Migranten an der Frankfurter Wohnbevölkerung (29 %) korreliert. Wie sehr diese unterschiedlichen Milieus miteinander verknüpft sind, erfährt in Frankfurt, wer an Wochenenden dableibt: Die Restaurants sind geschlossen, weil das Finanzpersonal die Stadt verlassen hat. Daher hat man seit den 1980er Jahren ein Urbanisierungsprogramm entwickelt, das den internationalen Finanzplatz „Bankfurt“ in eine urbane Metropole verwandeln sollte. Die zentrale Rolle bei dieser Umwandlung schrieb man der Kultur zu, sie wurde zum „Ferment der Stadtpolitik“ (Wallmann) erklärt. Bekannte Glücksritter aus Kunst und Architektur wurden engagiert und mit traumhaften Etats ausgestattet. Die Inszenierung geldintensiver (Hoch-)Kulturprojekte fand ihre weithin sichtbaren Signifikanten unter anderem in der innerstädtischen Museumslandschaft.

Gleichzeitig änderte sich die soziale Bedeutung der Programmformel „Kultur für alle“, die in den 1970er Jahren aus dem emanzipatorischen Anspruch heraus formuliert worden war, die Verfügung über Kulturtechniken einer privilegierten Elite zu entreißen und untere gesellschaftliche Klassen an die so genannte Hochkultur heranzuführen. In Frankfurt, der Stadt mit dem damals bundesweit höchsten Kulturetat – elf Prozent des städtischen Gesamtbudgets – setzten sich die Trends zu einer „Standortqualität produzierenden Kulturpolitik“ durch, die vor allem an den Ansprüchen neuer prosperierender Lebensstilgruppen ausgerichtet war. Der konservativen Stadtregierung gelang es, ein identitätsstiftendes Raumbild zu schaffen, dessen Faszinationskraft wichtige Teile der Mittelklasse veranlasste, dem Mythos von der aufstrebenden Weltstadt positiv gegenüberzustehen ). Die von der Wallmann-Regierung initiierte Kulturpolitik der „neuen Üppigkeit“ fand durch die krisenhafte Haushaltslage in den 1990er Jahren ihr jähes Ende.

Cool Frankfurt – ein zweiter Rückblick

Die Modernisierungsaufgabe, der sich Frankfurt seit Mitte der 1990er Jahre gegenübersieht, besteht darin, neue Kulturpraktiken, in denen sich Alltag, Konsum und Kunst durchdringen, als solche zu erkennen und darauf zu reagieren. Neue professionelle Kreativszenen, die sich im Bereich der elektronischen Medien, des Designs, der Kunst, der Werbung, aber auch in der Musik- und Clublandschaft tummeln, stehen im Widerspruch zu dem Kulturkonzept der 1980er und frühen 1990er Jahre. Durch globale Vernetzung und neuartige Gestaltungsweisen überschreiten diese Kreativszenen den klassischen Werkbegriff, definieren das Verhältnis von Kunst zu Ökonomie, von Subkultur zu Mainstream und von Stadt zu Individuum neu.
„Diese neuartigen Bereiche bündeln ein enormes gesellschaftliches Kreativitätspotenzial und verkörpern eine Vergesellschaftung der kulturellen Praxis und einen ästhetischen Schub, die vergleichbar dem der Herausbildung der Kulturindustrie in den dreißiger und vierziger Jahren vor allem in den USA sind“, schrieb der Frankfurter Politologe Alex Demirovic bereits 1994 und forderte in Anlehnung an den Siebziger-Jahre-Slogan „Kultur für alle“ die „Kultur durch alle“ ).
Im Vordergrund stehen sog. Culturepreneurs ), deren unternehmerische Praxis sich auf der Ästhetik des Urbanen sowie einer Atmosphäre des Machbaren Ende der 1990er Jahre entfalten konnte. Forciert wurde der Zuwachs an Culturepreneurs im wesentlich durch eine städtische Gesellschaft, deren Lebenswirklichkeit nicht nur über Gebühr individualisiert, sondern ebenso hochgradig ambivalent ist: Wegen zahlreicher Unberechenbarkeiten, verlorener gemeinschaftlicher Verlässlichkeiten und einer angeblichen Multioptionalität hinsichtlich der Lebensführung werden dem Individuum neue Handlungsentscheidungen abverlangt, um sich gesellschaftlich zu verorten. Der spielerische Umgang mit dieser Individualisierungsaufforderung findet sein räumliches Experimentierfeld in der Stadt: Sie wird als Laboratorium für eigene Ideen verstanden, ungeachtet der Tatsache, dass die vereinzelt Agierenden neuen Flexibilisierungsmustern und sozialen Desintegrationsprozessen unterworfen sind. Gerade diese aber können im Urbanen aufgefangen werden. Individualisierte unternehmerische Existenzstrategien sind aber gesellschaftspolitisch spätestens seit 1998 positiv codiert. Dabei werden sowohl die von politischer Seite geforderte Selbstständigkeit als auch der allmähliche Ausschluss aus den sozialen Sicherheitssystemen sprachlich galant übertüncht.
Eine positive, zugleich aber auch ironische Lesart könnte diesem neuen Unternehmertypen die im ökonomischen Segment der Stadt dringend benötigte Funktion zuweisen, System- und Brückenbildner zwischen den Subsystemen Wirtschaft und Kultur zu sein ). An diesen Kommunikationsknotenpunkten, deren physische Entsprechung Club-Events, Galerieeröffnungen und Start-up-Parties sind, wird über den städtischen Modernisierungsprozess neu verhandelt. Der offensichtlich performative Charakter solcher Aktionen ist aber weniger als individuelle Selbstinszenierung zu werten. Vielmehr stellen die Orte der Culturepreneurs soziale Interaktions- und Transfer-Plattformen dar, auf denen mit dem urbanen Material neue Trends getestet und neue Beziehungen erprobiert werden. Place matters!
Von städtischen Verantwortlichen bisher wenig beachtet, haben sich die privaten Ausstellungsräume und Clubs in Frankfurt insbesondere in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre vervielfältigt. Zu sehen ist dies ebenso als Antwort auf institutionelle Hierarchisierung wie als Selbstorganisation der Culturepreneure. Mit der Verwurzelung in der Jugendkultur geht die Behauptung einer neuen Authentizität einher, die auch Indiz selbstregulierter Vielfalt ist. Cool Frankfurt also und Culturepreneure als Protagonisten der Neuen Mitte? Culturepreneure zeigen ein hochgradig ambivalentes Verhältnis: Das Stichwort „neues Unternehmertum“ verweist auf individualisierte Marketingstrategien und soziale Härten, aber auch auf das gekonnte Wechseln zwischen Arbeitsamt, Arbeitnehmerverhältnissen und Selbstständigkeitsstrukturen ). Diese Akteure gestaltet ein neues Verhältnis zwischen ihrer Arbeitspraxis, dem unternehmerischen Umsatz und seiner eigenen sozialen wie auch kreativen Weiterentwicklung. Eingerahmt und eingebunden sein muss dieses Tätigkeitsset in ein mitgestaltetes, spannungsgeladenes und ambivalentes, nach außen schwer zu entzifferndes, aber gerade für Insider lesbares räumliches Bild- und Codeensemble. Culturepreneurs stehen für die Verbreitung eines arbeitsbiographischen Modells, das sich von der Lebensführung des klassischen Künstlers bzw. der klassischen Künstlerin herleitet. Künstlerarbeitsmärkte zählen seit langem zu den dynamischsten und flexibilisiertesten Teilzeitarbeitsmärkten überhaupt. Diskontinuierliche Erwerbsverläufe sind hier die Regel; häufiges Wechseln zwischen Erwerbs- und Nichterwerbszeiten und zwischen verschiedenen Beschäftigungsformen ist an der Tagesordnung. Hinter der gekonnten Inszenierung innerhalb der Ökonomie der Aufmerksamkeit verbirgt sich ein Ringen um die eigene Position in und die diskursive Teilhabe an der Gesellschaft. Bleibt am Ende die Frage, inwieweit sich die Mainmetropole den gegenwärtigen Modernisierungsaufgaben stellt und diese bewältigt: Cool Frankfurt also? Kurzzeitig sah es so aus, doch während in Städten wie London, Manchester, Wien oder Rotterdam die Culturepreneurs einerseits als Avantgarde der politisch und ökonomisch erwünschten Flexibilisierung und somit als kreative Zellen gefeiert werden, erwies sich Frankfurt für viele als kurzes Intermezzo.

Talentstadt Frankfurt? – ein Ausblick

In der jüngst entfachten Debatte um Standorte, Standortstrukturen sowie Standortqualitäten werden vermehrt soziale Orts- und Raumqualitäten in den Vordergrund gestellt. Städte ringen um „kreative Dienstleister“. Deren kulturelle und unternehmerische Praktiken führen zu symbolischen Neubewertungen von Stadträumen und transportieren diese Images über die Stadtgrenzen hinaus. „Kreative“ verkörpern dabei das „Neue“ und oftmals einen stadtökonomischen Aufbruch. Als Motor wirken sie auf Grund ihres Raum- und Konsumbedarfs an der Aufwertung der Bedeutung und Wahrnehmung von Orten mit, was zunehmend auch die Immobilienwirtschaft erkennt ). In diesen vorhandenen oder neu geschaffenen kreativen Milieubiotopen entfalten sie ihre Ideen.
Städte stehen Florida : 224) zu Folge vor der Aufgabe, nicht ausschließlich den ersten Ort (privater Raum) funktional mit dem zweiten Ort (Arbeitsort) zu verbinden, sondern verstärkt einen third space anzubieten: Kommunikative Interaktions-, Vergemeinschaftungs- und Bildungsräume. Die Erzeugung einer kritischen Masse an interessanten Locations wird als direkt anziehend für zahlungskräftige Fokusgruppen und somit indirekt innovationsfördernd verstanden. Der von Florida proklamierte Wettbewerb der Regionen um kreative Wissensarbeiter gründet demzufolge auf der Idee, dass die Qualität der Sozialräume und der in sie eingeschriebenen kulturellen Optionen den Städten und Regionen einen Wettbewerbsvorsprung ermöglicht. Das verbindet sich mit der Forderung nach Zugang und Zulassung von kulturell Fremden in diese Städte und Regionen.

Frankfurt müsste dabei eigentlich eine gute Ausgangslage haben, was nicht zuletzt die Roland Berger Strategy Consultants im Auftrag der FAZ im März 2008 bestätigt hat: Zwar führt das hohe Maß an internationalen Frankfurterinnen bzw. Frankfurtern sowie an „kreativer Klasse“ zu einem respektablen 4. Rang im Bund, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein kontinuierlicher kreativer Aderlass von statten geht. Zahlreiche Abgänger künstlerischer Hochschulen verlassen die Stadt nach Berlin und weisen auf ein zentrales Kriterium einer kreativen Stadt: Niedrigschwelliger Zugang zum Sozialraum „Frankfurt“, einnehmbare „Freiräume“, institutionelle Aufgeschlossenheit sowie Durchlässigkeit etablierter Institutionen: Kurzum, Frankfurt erscheint in jüngster Zeit als atmosphärische Trutzburg, deren Lücken und Leerstellen im Stadtkörper rar sind, deren Wirkungs- und Eingriffsmöglichkeiten überschaubar sind. Das Maß an städtisch-kultureller Stabilität ist hoch, die Finanztürme überragend. In ihrem Schatten gibt es kurzfristig die ein oder andere uneinsehbare Lücke. Das ist jedoch zu wenig, der Brain Drain in Form des ICE Sprinters katapultiert kontinuierlich junge Künstlerinnen bzw. Künstler, Verwirklicher/innen und Sinnsucher/innen aus den bürgerlichen Deutungshochburgen der Frankfurter Vorstädte in das kreative Freischwimmerbecken Berlin. Place matters!

Eine wesentliche Grundlage dieses Beitrags stellen die Arbeiten mit Dr. Silke Steets (TU Darmstadt) dar, die im Rahmen des Bauhaus-Kollegs „Event City“ entwickelt wurden.

Dr. Bastian Lange ist seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig und Mitglied des Georg-Simmel-Zentrums für Metropolenforschung der Humboldt Universität Berlin. Forschungs- und Lehrschwerpunkte: Creative und Knowledge Industries, Milieu- und Szeneforschung, Entrepreneurship, Raumtheorien und Governance. Aktuelle Publikation: „Die Räume der Kreativszenen: Culturepreneurs und ihre Orte in Berlin“ (2007).
 
30. Mai 2008, 15.30 Uhr
Bastian Lange
 
 
Fotogalerie:
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