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Beethoven rocks


Das Polish Chamber Orchestra hat Platz genommen auf der Bühne der Alten Oper, die Instrumente sind gestimmt, Beifall brandet auf. Fehlt nur noch der Star des Abends, Nigel Kennedy, der gut gelaunt hereinschlendert in einem Outfit zwischen Edel-Clochard und Pirat, eher derbes Schuhwerk, Baggy Trousers, Schal und Weste unterm Jackett, bestens passend zum bekannt extravaganten Hairstyle mit den ausrasierten Schläfen und dem Beinah-Irokesen. Auch das Begrüßungsritual mit Primgeiger und Orchester fällt ganz speziell aus, eher wie bei HipHoppern. Ein normaler Handshake ist viel zu langweilig. Und das Publikum wird auch gleich über Mikro angesprochen: "Rock is cool, Romantic is cool." Und dann folgt erst mal ein Violinsolo, das nicht auf dem Programmzettel steht, Appetizer und Warmspieler zugleich. Eine Bach-Partita ist sich meine Klassikliteratur-bewanderte Begleiterin sicher. "Und jetzt Beethoven", meint Nigel grinsend.
Das Publikum ist sehr gemischt, mitnichten nur Freaks im Auditorium, sondern auch ganz gesetzte Klassikkonzertgänger, die Beethoven, dessen "Violinkonzert D-Dur", aber scheinbar auch den Klassik-Exoten an der Geige schätzen. Die, die ihn für einen Blender halten, sind nicht gekommen. Die Anderen hören in Virtuosen, der zu den Großen gehört. Was für einen wunderschönen Ton er hat gerade im langsamen Satz. Kennedy ist nicht nur der Solist des Abends, er ist auch der Orchesterleiter und sein Geigenbogen ersetzt mitunter den Taktstock. Aber es ist mehr seine Mimik, seine Gestik, sein - ja beinahe - Körperkontakt wie er auf den ersten Geiger und die Cellistin zugeht, die Tempo forcieren und zusätzliche Dynamik schaffen. Und - eigentlich unüblich für den Solisten - spielt Nigel auch die meisten Orchesterpassagen mit. Solist und einer von ihnen mag die Botschaft lauten. So brandet auch Beispiel zwischen den Sätzen auf. Und nach dem Schlussapplaus meint er noch keck, im zweiten Teil des Abends gäbe es nun Musik von einem Typen, der er gut kenne und schätze und der Kennedy heiße. Und wie bei Beethoven ginge es auch in einer Welturaufführung um das Thema Men in Nature. Ein echter Romantiker, keine Frage.

Die Pause dauert ein wenig länger, das Equipment seines polnischen Jazzquintetts muss aufgebaut werden. Denn jetzt wird es elektrisch und auch wesentlich lauter, was allerdings niemand wirklich aus dem Saal trieb, aber für manche zugehaltenen Ohren sorgte, nicht nur bei den Älteren. Denn Nigel liebt die hohen Lagen. Er kommt - was er gerne tut - mit seiner elektrischen Violine und einem Sender versehen - durch Publikum, begrüßt die Leute zu seiner big night, mal mit Handknöchelreiben, mal klassisch mit Handkuss. Der Mann ist schon auch ein Charmeur, eine sympathische Erscheinung allemal. Deshalb verzeiht man dem Mann sicherlich auch Einiges. Denn "Melody Invention", sein als Violinkonzert für Jazzquintett und Orchester angekündigte Welturaufführung, hat zwar viel Melodie, aber wenig Invention und ist - gemessen an Image und (unterstellter?) Attitüde des Künstlers eher konventionell.

Im Prinzip ist es "nur" eine Songsammlung, die durchaus auch von Versatzstücken (um nicht Klischees zu schreiben) aus Klassik, Jazz, Folk und Latin Music besteht und spielerisch weder die polnischen Topjazzer noch das Orchester überfordern. Mal von Donovan, dem Folk-Rock-Pionier, mal von einem Philosophen, dann vom Planeten Saturn oder eine Zigeunerweise inspiriert, hat zumindest Nigel einen Heidenspaß beim Musizieren und der überträgt sich auch auf einen Großteil seines Publikums. Also doch alles richtig gemacht? Classic light könnte man nennen. Oder Filmmusik, die auch zu einem ZDF-Mehrteiler à la Pilcher in Cornwall passen könnte. Oder Tanzmusik aus den Dreißigern. Immerhin: André Rieu wird es das Wasser nicht abgraben können (sorry, Nigel - wir haben Dich doch lieb!).

Ein echter Bringer war ein mittendrin eingestreuter Blues, zu dem Nigel auch sprechgesanglich brillierte und in einem aus dem Stehgreiftext eine morgendliche Erfahrung mit seiner Ehefrau zum besten gab, die ihn weckte, um mir mit shoppen zu gehen, er aber dann doch das Üben ("It´s so much easier!") vorschob, um diesen Spaß zu entgehen. Als das Saallicht nach einem langen Abend längst zwei Drittel des Publikums aus dem Saal getrieben hatte, gab Nigel den jubelnden Restfans nach und kam für ein Medley irischer Jigs noch mal auf die Bühne. Sein Eintrittsgeld ist er auf alle Fälle wert. Als Musiker, Mensch und Entertainer. Aber Beethoven rockte – dank Nigel – mehr als Kennedy selber.
 
6. Juni 2008, 12.48 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
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