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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Weser5: Interview Jürgen Mühlfeld

Vorurteile und Berührungsängste abbauen

Jürgen Mühlfeld leitet seit 2016 das Weser5 Diakoniezentrum im Frankfurter Bahnhofsviertel. Im Gespräch mit dem JOURNAL FRANKFURT hat er über die vielfältigen Ursachen für Wohnungslosigkeit und die häufigsten Vorurteile gegenüber Wohnungslosen gesprochen.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Mühlfeld, Sie leiten seit 2016 das Weser5 Diakoniezentrum, das Frankfurter Wohnungslose unterstützt. Mit welchen Angeboten begleiten Sie wohnungs- lose Menschen konkret?
Jürgen Mühlfeld: Die Weser5 umfasst verschiedene Einrichtungen. Dazu gehört unter anderem das Übergangswohnhaus, in dem 39 stationäre Plätze alleinstehenden Männern zur Verfügung gestellt werden können mit dem Ziel, die Bewohner langfristig in eine eigene Wohnung zu vermitteln. Außerdem gibt es acht Notfallschlafplätze, die von uns schnell und unbürokratisch an Männer in Not vergeben werden können. Weiterhin haben wir eine Beratungsstelle, in der Menschen niedrigschwellig Beratung erhalten können. Unsere Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter helfen beispielsweise bei Anträgen an das Jobcenter. Außerdem stellen wir bei Bedarf eine Postadresse zur Verfügung, was für Wohnungslose und Obdachlose sehr wichtig ist, um beispielsweise Sozialleistungen beantragen zu können. Allerdings ist der Bedarf in Frankfurt sehr hoch, zu hoch, als dass er von uns gedeckt werden kann.

Wir waren vorhin gemeinsam im Tagestreff, der mir sehr gut besucht erschien.
Der Tagestreff ist ein weiteres zentrales Angebot und gerade im Winter wichtig. Dort können sich die Menschen aufwärmen, sie erhalten eine warme Mahlzeit, können die Duschen und Toiletten benutzen, erhalten in der Kleiderkammer warme Kleidung, können auch selbst Wäsche waschen und haben die Möglichkeit, das Internet zu nutzen. Und es gibt einen Bereich, in dem man auch tagsüber schlafen kann. Das wird gerade in der kalten Jahreszeit stark genutzt. Im Winter kommen täglich etwa 200 Menschen in den Tagestreff. Ein weiterer wichtiger Arbeitsbereich, gerade im Winter, ist die Straßensozialarbeit. Das sind die Kolleginnen und Kollegen, die auf der Straße unterwegs sind und gezielt Menschen ansprechen, die dort Sitzung machen – also betteln – oder Platte machen – draußen schlafen – und versuchen diese zu motivieren, in die Beratung zu gehen oder einen Notfallschlafplatz anzunehmen. Es ist oft ein wirklich schwieriges Unterfangen, die Menschen zu motivieren, Hilfe anzunehmen – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Was außerdem noch zu Weser5 gehört, ist die Sozialarbeit am Flughafen.

Inwiefern ist denn eine Sozialarbeit am Flughafen notwendig?
Es fällt Ihnen vermutlich nicht direkt auf, aber wenn man mal genauer hinschaut, stellt man fest, dass sich wohnungslose Menschen im Flughafen aufhalten. Etwa 50 Männer und Frauen verbringen dort Tag und Nacht, verleben also ihren gesamten Alltag im Terminal, etwa 200 nutzen den Flughafen zu unterschiedlichen Tageszeiten. Wir haben zwei Kolleginnen, die am Flughafen arbeiten und sich um die dort lebenden Menschen kümmern. Diese 50 Wohnungslosen, die dort wirklich ihren Alltag verbringen, sammeln beispielsweise Flaschen und können damit genug Geld erwirtschaften, um sich im Flughafen mit Essen zu versorgen. Außer- dem gibt es dort Duschen, Toiletten, es ist warm. Sicherheit vor gewalttätigen Übergriffen ist durch die Öffentlichkeit im Terminal und die Präsenz von Polizei und Security Tag und Nacht in hohem Maße gewährleistet. Sicherheit ist für Obdachlose ein hohes Gut, insbesondere für Frauen, Gewalterfahrungen auf der Straße sind nicht selten.

Duldet die Flughafenbetreiberin Fraport denn, dass auf ihrem Gelände Wohnungslose leben?
Am Flughafen ist man natürlich nicht begeistert, dass sich dort Wohnungslose aufhalten. Die Fraport finanziert allerdings eine der beiden Stellen in unserer Sozialberatung, außerdem bekommen wir die Büroraume gestellt sowie einen Bus, mit dem wir die Wohnungslosen, sofern diese das möchten, zu unseren anderen Einrichtungen in die Innenstadt bringen können. Die Kooperation mit der Fraport ist sehr gut und sehr eng – und niemand erwartet von uns, dass wir Wunder vollbringen.

Welchen Stellenwert nimmt die ehrenamtliche Mitarbeit bei Weser5 ein?
Ehrenamtliche Mitarbeit findet bei uns vor allem im Tagestreff statt. Dort arbeiten Ehrenamtliche in der Kleiderkammer, unterstützen die Besucherinnen und Besucher an den Kunden-PCs, helfen beim Wäsche waschen oder in der Küche. Der Kontakt zwischen den Besucherinnen und Besuchern und den Ehrenamtlichen ist für beide Seiten wertvoll. Bei den Ehrenamtlichen wächst das Verständnis für die besondere Notlage der Betroffenen und den sich daraus ergebenen Überlebensstrategien. Den Wohnungslosen ermöglicht der Kontakt eine Verbindung zu anderen gesellschaftlichen Schichten, mit denen er oder sie sonst nicht in Berührung käme. Vorurteile auf beiden Seiten und Berührungsängste werden abgebaut. Wenn der oder die Ehrenamtliche den Besucher oder die Besucherin auf der Straße trifft, wird sich eine andere Form der Begegnung ergeben. Brücken werden gebaut, deren gesellschaftlicher Wert nicht zu unterschätzen ist.

Was sind die häufigsten Ursachen, wegen derer Menschen in die Wohnungs- oder Obdachlosigkeit geraten?
Die Ursachen können wirklich vielfältig sein und man muss aufpassen, nicht alle Wohnungslosen über einen Kamm zu scheren, indem man ihnen von vornherein psychische Erkrankungen oder Alkoholsucht unterstellt. Es gibt ganz verschiedene Gründe, die oftmals biografisch bedingt sind, dass Menschen in Schwierigkeiten geraten sind. Die häufigste Ursache für Wohnungslosigkeit sind noch immer Mietschulden. Außerdem natürlich der Arbeitsplatzverlust, der wiederum zu diesen Mietschulden führen kann. Aber auch die Trennung von dem Partner oder der Partnerin sowie Gewalterfahrungen können Ursache sein. Was man aber vor allem nicht vergessen darf, ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Wenn Menschen einmal die Wohnung verloren haben, ist es unheimlich schwer, wieder eine Wohnung zu finden. Die Wohnungen, die erschwinglich wären für diese Menschen, werden immer weniger, die Anzahl derer, die diese bezahlbaren Wohnungen benötigen, aber wird immer größer.

Reichen die Maßnahmen der Stadt Ihrer Einschätzung nach aus, um die Wohnungsnot und damit auch die Wohnungslosigkeit langfristig einzudämmen?
Die Stadt macht schon viel, um Wohnungslosigkeit zu verhindern, aber es müsste über Jahre hinweg immens viel gebaut werden, um die Probleme einigermaßen in den Griff zu bekommen. Es werden zwar Wohnungen gebaut, aber es fallen immer mehr Sozialwohnungen aus der Bindung heraus. Das heißt, Sozialwohnungen sind in der Regel 20, 25 Jahre an eine gewisse Miethöhe gebunden, wenn sie dann aber aus dieser Bindung herausfallen, können ganz normale Marktmieten für diese Wohnungen verlangt werden. Damit haben die Menschen, die bisher Zugriff auf diese Wohnungen hatten, keine Chance mehr. Parallel zu dem Wegfall dieser Wohnungen entstehen nicht genügend neue Sozialwohnungen. Die Wohnungsnot ist die zentrale Frage unserer Zeit – aber ich habe das Gefühl, wir sind mit unserer Wohnungspolitik gescheitert.

Jürgen Mühlfeld leitet seit Mai 2016 das Weser5 Diakoniezentrum, davor war er 15 Jahre als Straßensozialarbeiter in der Wohnungsnothilfe des Caritas Verbandes tätig.
 
30. Dezember 2020, 13.01 Uhr
Ronja Merkel
 
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. – Mehr von Ronja Merkel >>
 
 
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