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Foto: rom
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Frankfurt, meine Liebe

München? Ja mei!

Zwei Jahre ist es inzwischen her, dass unsere frühere Kunstredakteurin ins ferne München auswanderte. Ein Text über kulturelle Unterschiede, Sehnsucht und das südbayerische Lebensgefühl.
Zieh nach München, sagten sie. Da ist die Luft so gut und die Berge so nah, sagten sie. Und du wirst viel besser verdienen, sagten sie. Was sie nicht sagten war, dass die Mieten dort so horrend teuer sind, dass einem von dem generösen Gehalt schon zu Beginn des Monats kaum genug zum Atmen bleibt. Geschweige denn genug, um Ausflüge in die Berge zu unternehmen. Zeit hätte man für solche Ausflüge freilich ohnehin nicht, denn man muss ja arbeiten, um das Geld zusammenzukratzen, das einem diese Stadt zum schlichten Überleben abverlangt.

Der Ur-Münchener ist grundsätzlich ein angenehmer Zeitgenosse. Warmherzig, weltoffen und oft wohltuend schwarzhumorig. Leider begegnet man dieser ursprünglichen Gattung nur noch selten in freier Wildbahn, wird sie doch seit Jahren von der zugezogenen Schickeria aus ihrem angestammten Lebensraum vertrieben. Oh die Schickeria! Ja, es gibt sie wirklich. Und die trifft man viel häufiger an, als einem lieb ist. Erhobenen Hauptes, mit aufgespritzten Lippen, einen Starbucks-Becher in der einen und einem iPhone in der anderen Hand haltend, flaniert sie gerne über die Kaufingerstraße und offenbart sich damit auch dem Außenstehenden als elitärer Zugezogener – denn der echte Münchener würde niemals freiwillig die Kaufinger betreten. Nicht mal zum Socken kaufen. Die bestellt man dann doch lieber aus sicherer Distanz bei Amazon.

Ach, was fehlt mir der Pisse-Duft der Hauptwache! Manchmal ertappe ich mich bei dem Gedanken, wie schön es doch wäre, wenn einer dieser Schönen und Reichen mich jetzt anpöbeln würde. Mich so richtig beleidigen würde. Ein bisschen betrunken, ein bisschen beängstigend und doch irgendwie charmant. Frankfurt-Style eben. In München gibt es so etwas nicht. Hier ist alles sauber, geregelt, durch und durch strukturiert. Darauf legt der Seehofer Wert – wenn er schon sonst nichts kann. Selbst in der hintersten Bahnhofsecke lässt sich hier sprichwörtlich vom penibel polierten Boden essen. Klingt vielleicht traumhaft, ist meistens aber eher langweilig. Denn was ist schon ein Bahnhofsviertel, ohne die Ecken und Kanten, die Kreativen und Verrückten, eben ohne all die besonderen Dinge, die zum Beispiel das Frankfurter Bahnhofsviertel auszeichnen?


Die Münchener Straße in Frankfurt

Gut drei Jahre führte mich mein täglicher Arbeitsweg ins Frankfurter Bahnhofsviertel und jeden Tag wuchs auf diesem Weg meine Liebe zu der Stadt. Wie oft saß ich bei einem Glas Tee mit meinen liebsten Freunden im Tati zusammen, dem marokkanischen Restaurant gegenüber des Hauptbahnhofs? Wie viele Kaffees habe ich im Plank in der Elbestraße getrunken? Wie viele Stunden habe ich in den rundherum verteilten Künstlerateliers verbracht?

Endlose Male ging ich die Taunusstraße entlang, nahm all die Eindrücke in mich auf und fühlte mich jedes Mal um eine neue Perspektive bereichert. Kein anderer Ort in Deutschland verkörpert für mich so viel Lebensgefühl und Diversität wie das Frankfurter Bahnhofsviertel. Eigentlich müsste ich sagen: wie Frankfurt. Die Stadt am Main ist meine Soulcity. Zwar bin ich dort nicht aufgewachsen, doch sie hat mein Herz im Sturm erobert und seit meinem Wegzug, inzwischen sind es immerhin zwei Jahre, vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht in sehnsuchtsvollen Erinnerungen schwelge.


I mog di.

"Ja mei!", würde der Münchener jetzt sagen (der echte, wohlgemerkt). Zwei Worte, in denen so viel Bedeutung liegt und die letztendlich erklären, weshalb ich, die Frankfurt-Verliebte mit dem gebrochenen Herzen, trotz aller Sehnsucht in München bleibt. In diesen zwei Worten schwingt das gesamte originale südbayerische Lebensgefühl mit, das ich, langsam aber sicher, vielleicht nicht zu lieben, aber doch zu schätzen lerne. Ja mei: Das kann alles und nichts bedeuten. Ja mei, dazu kann ich jetzt auch nichts sagen oder ja mei, lass mich bloß in Ruh'. Aber auch: ja mei, das ist ja ein dickes Ding! Und da wären wir wieder bei dem Ur-Münchener, einem ganz speziellen Menschentypus, der Ihren Alltag ungemein bereichern kann, den Sie aber mit Sicherheit nicht auf der Wiesn antreffen.
Auf der Wiesn werden Sie überhaupt gar keine klar denkenden Menschen antreffen. Damals, als ich noch jung, blauäugig und voller Tatendrang war, pflegte ich zu sagen, dass ich die Wiesn mag. Rückblickend betrachtet muss ich zugeben, dass ich mich einfach gerne hübsch zurechtmache (Stichwort Dirndl) und Bier trinke (Stichwort Maß, die man bitte nicht Maaaas, sondern Mass ausspricht).


Der Himmel der Bayern …

Inzwischen ist die Wiesn für mich gleichbedeutend mit The Purge. Falls Sie dieses Meisterwerk amerikanischer Filmkunst nicht kennen: In diesem dystopischen Horrorfilm werden in einer festgelegten Nacht, der Purge-Nacht, sämtliche Regeln und Gesetze außer Kraft gesetzt.

Es darf also nach Belieben geraubt, gemordet und sonst ein Unfug getrieben werden. Das ist die Wiesn, im Volksjargon auch Oktoberfest genannt. Bloß, dass bei uns the Purge drei Wochen und nicht bloß eine Nacht andauert. In diesen drei Wochen verbarrikadiert sich der halbwegs vernünftige Münchener in seinem überteuerten Rattenloch namens Wohnung und betet, dass der Sturm ohne nennenswerten Schaden vorüberzieht. Wer dumm genug ist, in dieser Phase die Innenstadt zu betreten, hört die Sprechchöre der Bayern-affinen Touristen schon aus weiter Ferne: „Olé, Olé “grölen sie oder „Bayern, Bayeeeern“. Immer unterlegt mit einem melodischen, exotisch anmutenden Akzent. Fällt ein Wiesntag auch noch mit einem Spiel des FC-Bayern München zusammen, ist die Apokalypse perfekt und die Gefahr, in touristischer Kotze zu ertrinken, so groß wie nie.

Und dennoch: München hat schon was und sei es einfach die Gewissheit, dass hier stets alles den gewohnten Gang gehen wird. Noch bevor ich meine geliebte Mainstadt verließ, interviewte ich mal einen amerikanischen Künstler, der sich in München niedergelassen hatte. Seine Begründung für die Wahl der neuen Heimat war so einfach, wie logisch: München bietet keine Ablenkung. Besser lässt sich diese Stadt nicht zusammenfassen.

Wer sich als angeblich individueller, aber eigentlich doch uniformer "Künstler/ Projektmanager/ was auch immer" durchschlagen möchte, geht nach Berlin, wer es aber ernst meint und sich von der Masse abgrenzen will, der geht nach München. Und dazwischen, da gibt es immer noch Frankfurt.

Der Schmerz lässt langsam nach, ich weine auch gar nicht mehr so viel, wenn ich am Ende des Monats meine Miete in Höhe eines ostdeutschen Jahresgehalts überweise. Aber manchmal, wenn es mich doch überkommt, blättere ich alte Journal Frankfurt-Ausgaben durch, tunke eine Weißwurst in grüne Sauce und schluchze leise bei dem Gedanken an meine große Liebe am Main.
 
5. Oktober 2017, 10.41 Uhr
Ronja Merkel
 
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. – Mehr von Ronja Merkel >>
 
 
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