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Foto: © Dirk Ostermeier
Foto: © Dirk Ostermeier

Entwicklungswerk

Mehr als nur Nachhilfe

Erfahrungen mit Lernfaktor: Das Frankfurter Entwicklungswerk hilft Kindern und Jugendlichen, über sich hinauszuwachsen und stellt auch in Zeiten der physischen Distanz soziale Nähe her.
„Erfahrungsräume schaffen, Entwicklung ermöglichen“ steht in weißer Schrift auf dem orangefarbenen Schild an der Hausnummer 48 in der Straße Im Prüfling in Bornheim. Dort befindet sich das Lerntherapie- und Beratungszentrum des Entwicklungswerks, ein 2010 gegründetes gemeinnütziges Unternehmen der Jugendhilfe. „Wir setzen Impulse, beispielsweise durch Freizeitaktivitäten wie Museumsbesuche, gemeinsame Einkäufe oder Sport und schaffen so kleine Erfahrungsräume, die einen enormen Lernfaktor mit sich bringen“, erklärt Jacqueline Cyll. Die 26-Jährige arbeitet seit 2019 bei der Sozialpädagogischen Lernhilfe des Entwicklungswerks, einer Hilfe zur Erziehung nach Paragraph 27 Abs. 2 SGB VIII. Dieser besagt: „Ein Personensorgeberechtigter hat bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.“

Wie diese Hilfeleistung dann genau aussieht, entscheidet das Jugendamt anhand eines Hilfeplanverfahrens, bei dem analysiert wird, wie den Familien bestmöglich geholfen werden kann. Das Entwicklungswerk bietet neben der Sozialpädagogischen Lernhilfe noch die stationäre Jugendhilfe, die Lerntherapie, die Inklusion/Schulbegleitung und die ambulanten Erziehungshilfen an. „Das Jugendamt entscheidet sich gemeinsam mit den Familien für eine Lösung und wendet sich in passenden Fällen an uns“, erläutert Cyll. Mithilfe einer Fallanalyse, in der die Familienkonstellation und Probleme anonymisiert dargestellt sind, sucht das Team der Sozialpädagogischen Lernhilfe dann eine:n Betreuer:in für das Kind oder den Jugendlichen aus. Jede:r Mitarbeiter:in bringt dabei unterschiedliche Perspektiven und Kenntnisse mit. Jacqueline Cyll, die Theater-, Film und Medienwissenschaft studiert, bringt Erfahrungen aus dem kunstpädagogischen Bereich mit.

Bei den Eltern stoßen Cyll und ihre Kolleg:innen auf durchmischte Resonanz: Viele seien sehr dankbar und empfänden die Lernhilfe als Entlastung, „aber man darf nicht vergessen, dass da anfangs eine fremde Person von außen in die Familie kommt – das ist auch eine ungewohnte Situation.“ Dies ändere sich meist nach einer kurzen „Eingewöhnungsphase“. Wichtig dafür sei auch, dass das Team transparent arbeite: „Wir sprechen mit den Familien und unseren Klient:innen über jeden Schritt, beispielsweise wenn es um Berichte für das Jugendamt geht, und arbeiten nicht über sie hinweg.“

Mindestens vier Stunden in der Woche trifft sich sie sich mit den „jungen Menschen“, wie Cyll ihre Klient:innen gerne selbst nennt; meist wird die Zeit in einen schulischen und einen freizeitpädagogischen Bereich aufgeteilt. „Die Ziele können alles Mögliche sein, zum Beispiel, dass die Noten in Mathematik besser werden, oder dass die Persönlichkeit gestärkt wird und sich der junge Mensch traut, alleine mit dem ÖPNV zu fahren“, erklärt Jacqueline Cyll. Ein „Patentrezept“ gibt es dafür nicht: So verschieden die Ziele sind, so verschieden sind auch die jungen Menschen, mit denen sie arbeitet. „Mir ist es wichtig zu schauen, was der junge Mensch will und was er oder sie bereits mitbringt und dies dann auch zu stärken.“

Die Schulen, so Cyll, hätten nur begrenzt Möglichkeiten, um die Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern. „Ich versuche, so oft wie möglich den Bezug zum Alltag herzustellen. Der fehlt den Schülerinnen und Schülern häufig in der Schule“, erläutert sie. Um ihren Klient:innen beispielsweise ein Gefühl für Maßeinheiten zu vermitteln, messe sie mit ihnen das eigene Zimmer aus. Damit soll vor allem die Lernmotivation gesteigert werden. Schlechte Noten in der Schule, so die Lernhelferin, schwächten häufig das Selbstwertgefühl. „Mir ist aber auch wichtig, den Schüler:innen zu vermitteln, dass Fehler zum Leben gehören und dass sie sich durch diese auch weiterentwickeln.“ Im Fokus steht jedoch vor allem die Persönlichkeitsentwicklung: eigene Interessen entdecken, Selbstvertrauen aufbauen, Konfliktfähigkeit stärken und zur Autonomie verhelfen – „Hilfe zur Selbsthilfe beschreibt die 26-Jährige selbst die Arbeit des Entwicklungswerks. „Wir arbeiten im Grunde daraufhin, dass wir nicht mehr gebraucht werden“. Dazu stehe sie auch immer im engen Austausch mit den Eltern.

Im Durchschnitt arbeitet das Team der Sozialpädagogischen Lernhilfe zwei Jahre mit den Kindern und Jugendlichen. Eine lange Zeit, in der sich zwischen den Klient:innen und Betreuer:innen ein großes Vertrauensverhältnis aufbaut: „Eine neutrale außenstehende Person, der man private Themen und Gefühle anvertrauen kann – das ist natürlich auch eine totale Bereicherung für die jungen Menschen.“ Im Grunde, so Jacqueline Cyll, besteht die Aufgabe hauptsächlich aus Beziehungsarbeit, bei der Sympathie und Vertrauen essenziell sind. „Aber wir wollen nicht die Freunde, Eltern und auch keine Therapeuten ersetzen“, betont sie. Der Drahtseilakt zwischen Nähe und Distanz sei in der sozialen Arbeit immer ein Thema. Das wichtigste sei stets, die Ziele des jungen Menschen nicht aus den Augen zu verlieren.

Auch für sie persönlich können einzelne Situationen manchmal belastend sein: „Ich arbeite sehr gerne als Lernhelferin, aber ich hatte auch schon Momente, die ich mit nach Hause genommen habe.“ Nicht jedes einzelne Treffen sei gleichermaßen positiv, die Arbeit mit den jungen Menschen sei immer auch ein langwieriger Prozess. In zwischenmenschlichen Beziehungen gebe es immer Schwankungen – „das gehört dazu und das muss man dann auch aushalten können.“

Soziale Nähe in Zeiten physischer Distanz

„Zeiten der privaten Abschirmung oder Quarantäne können bereits belastete familiäre Situationen leicht überstrapazieren“, schreibt das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) auf seiner Webseite. Und auch der stellvertretende Leiter der Evangelischen Telefonseelsorge Frankfurt sagte im Gespräch mit dem JOURNAL FRANKFURT im vergangenen Dezember, dass Streit und Probleme innerhalb der Familie zunähmen. Ausgangssperren, Kontaktverbote und Homeoffice in Kombination mit Homeschooling führen zu enormen Belastungssituationen. Den jungen Menschen Struktur geben in dieser Zeit zwischen Wechsel- und Distanzunterricht, immer neuen Regeln und Verboten, sei dabei daher umso wichtiger, erklärt Cyll. „Dadurch, dass die Arbeit vom persönlichen Kontakt lebt, war die Situation anfangs sehr schwierig für uns. Wir haben uns auch große Sorgen darum gemacht, wie wir die Arbeit fortsetzen und die Beziehung aufrechterhalten können.“ Das Team der Sozialpädagogischen Lernhilfe arbeitete meist bei den Familien zu Hause, dort sei es oft schwierig, Hygienekonzepte durchzusetzen.

Die Lösung brachte dann die Videotelefonie; gebrauchte Laptops, Tablets und Smartphones wurden laut Jacqueline Cyll den Kindern und Jugendlichen vom Träger bereitgestellt, falls sie benötigt wurden. Die Krise sei auch eine Chance für neue, kreative Wege gewesen: Per Videochat habe sie mit den Kindern und Jugendlichen zum Beispiel „Stadt, Land, Fluss“ oder „Schiffe versenken“ gespielt und Fantasiereisen unternommen. Im Sommer seien auch wieder persönliche Unternehmungen möglich gewesen, bei denen die Abstände gut eingehalten werden konnten. Im Winter musste sie die Treffen aufgrund des Infektionsschutzes wieder reduzieren; ganz darauf verzichten möchte sie aber, soweit die Corona-Situation es zulässt, nicht: „Videotelefonie ist ein gutes Mittel, den persönlichen Kontakt ersetzt sie aber nicht.“

Dieser Text erschien zuerst in der Ausgabe 2/2021 des JOURNAL FRANKFURT.
 
14. April 2021, 11.09 Uhr
Elena Zompi
 
 
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