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Editorial 07/2020
„In einer weißen Welt ist kein Platz für Grauzonen. Geschweige denn für bunte Vielfalt“
„Die Welt ist kein schöner Ort. Oder vielmehr: Sie ist ein schöner Ort, doch die Menschen darauf machen das Leben in ihr oftmals unerträglich schwer“, sagt Chefredakteurin Ronja Merkel und erklärt, warum trotz Sommertagen düstere Gedanken aufkommen können.
Die Welt ist kein schöner Ort. Oder vielmehr: Sie ist ein schöner Ort, doch die Menschen, die sie bevölkern, machen das Leben in ihr oftmals unerträglich schwer. So schwer, dass selbst ein schöner Sommertag, an dem die Sonne von einem azurblauen Himmel ihre Strahlen hinabschickt, nicht ausreicht, um die Dunkelheit dieser Existenz zu vertreiben.
Ende Mai ging ein Video um die Welt, das die Ermordung eines Mannes zeigt. Acht Minuten und 46 Sekunden kniete ein Polizist auf dem Hals des Afroamerikaners George Floyd. Dessen wiederholt hervorgepresster Satz „I can’t breathe“ („Ich kann nicht atmen“) schallte in den vergangenen Wochen weltweit durch die Straßen und erinnerte uns einmal mehr daran, dass weiße und schwarze Menschen unterschiedliche Realitäten erleben. In einer weißen Welt kann eine schwarze Haut ein Todesurteil sein. In der gleichen weißen, patriarchalen Welt kann es außerdem tödlich sein, eine Frau zu sein. Oder homosexuell. Nichtbinär. Jüdisch. Roma. Geflüchteter. Oder sonst irgendwie „anders“. Das Spektrum dessen, was „falsch“ ist, ist breit. Ganz im Gegensatz zu dem, was vermeintlich „richtig“ ist. In einer weißen Welt ist kein Platz für Grauzonen. Geschweige denn für bunte Vielfalt.
Ich habe an dieser Stelle schon häufiger über die Abgründe unserer Gesellschaft geschrieben und Sie, liebe Leserinnen und Leser,
gebeten, aktiv für eine gerechtere, lebenswerte Welt einzustehen. Ich weiß, dass die meisten von Ihnen genau das tun, auch ohne ein latent depressives Editorial gelesen zu haben. Ich weiß aber auch, dass einige von Ihnen eben dieses latent Depressive ermüdend finden. Vielleicht überlegen Sie gerade sogar, mir eine E-Mail zu schreiben, in der Sie mir genau das mitteilen möchten: dass Sie keinen erhobenen Zeigefinger brauchen, schon gar nicht in der aktuellen Krisenzeit, und dass dieses linksgrün-versiffte Gutmenschen-Geschwurbel einfach nur nervt. Machen Sie das. Schreiben Sie mir diese Mail und hauen Sie verbal so richtig zu. Lassen Sie alles raus, was Sie aufregt, ob es nun mit mir zu tun hat oder nicht. Aber dann nehmen Sie sich im Gegenzug doch bitte die Zeit, aufmerksam dieses Heft zu lesen, in das wir viel Recherche und Herzblut gesteckt haben. Und vielleicht schreiben Sie mir dann noch eine Mail, diesmal eine etwas versöhnlichere, aus der ein gewisser Glaube an die Menschheit spricht. Das würde dann doch etwas Licht in meine düsteren Gedanken bringen.
Ende Mai ging ein Video um die Welt, das die Ermordung eines Mannes zeigt. Acht Minuten und 46 Sekunden kniete ein Polizist auf dem Hals des Afroamerikaners George Floyd. Dessen wiederholt hervorgepresster Satz „I can’t breathe“ („Ich kann nicht atmen“) schallte in den vergangenen Wochen weltweit durch die Straßen und erinnerte uns einmal mehr daran, dass weiße und schwarze Menschen unterschiedliche Realitäten erleben. In einer weißen Welt kann eine schwarze Haut ein Todesurteil sein. In der gleichen weißen, patriarchalen Welt kann es außerdem tödlich sein, eine Frau zu sein. Oder homosexuell. Nichtbinär. Jüdisch. Roma. Geflüchteter. Oder sonst irgendwie „anders“. Das Spektrum dessen, was „falsch“ ist, ist breit. Ganz im Gegensatz zu dem, was vermeintlich „richtig“ ist. In einer weißen Welt ist kein Platz für Grauzonen. Geschweige denn für bunte Vielfalt.
Ich habe an dieser Stelle schon häufiger über die Abgründe unserer Gesellschaft geschrieben und Sie, liebe Leserinnen und Leser,
gebeten, aktiv für eine gerechtere, lebenswerte Welt einzustehen. Ich weiß, dass die meisten von Ihnen genau das tun, auch ohne ein latent depressives Editorial gelesen zu haben. Ich weiß aber auch, dass einige von Ihnen eben dieses latent Depressive ermüdend finden. Vielleicht überlegen Sie gerade sogar, mir eine E-Mail zu schreiben, in der Sie mir genau das mitteilen möchten: dass Sie keinen erhobenen Zeigefinger brauchen, schon gar nicht in der aktuellen Krisenzeit, und dass dieses linksgrün-versiffte Gutmenschen-Geschwurbel einfach nur nervt. Machen Sie das. Schreiben Sie mir diese Mail und hauen Sie verbal so richtig zu. Lassen Sie alles raus, was Sie aufregt, ob es nun mit mir zu tun hat oder nicht. Aber dann nehmen Sie sich im Gegenzug doch bitte die Zeit, aufmerksam dieses Heft zu lesen, in das wir viel Recherche und Herzblut gesteckt haben. Und vielleicht schreiben Sie mir dann noch eine Mail, diesmal eine etwas versöhnlichere, aus der ein gewisser Glaube an die Menschheit spricht. Das würde dann doch etwas Licht in meine düsteren Gedanken bringen.
25. Juni 2020, 12.51 Uhr
Ronja Merkel
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. Mehr von Ronja
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