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Foto: Christian Setzepfandt
Foto: Christian Setzepfandt

Demokratie gestalten

Eine verpasste Chance

Am 18. Mai 2023 feiert die Paulskirche ein Doppeljubiläum. Parallel dazu stehen Sanierungsarbeiten an, die allerdings erst im Herbst 2023 beginnen sollen – nach dem Jubiläum. Welche Symbolwirkung hat das für Frankfurt und die Demokratie? Ein Rückblick und ein Ausblick.
Die Paulskirche ist ein Symbol der deutschen Demokratie. In ihr wurde jene Verfassung erarbeitet, die allen späteren Verfassungen in Deutschland Modell stand: die Paulskirchenverfassung. Alle späteren Verfassungen nahmen Bezug auf sie: von der deutschen Reichsverfassung 1871 über die Weimarer Verfassung 1919 bis hin zum Grundgesetz 1949. Im Grundgesetz finden sich bis heute wortwörtliche Übernahmen aus der Paulskirchenverfassung. Obwohl sie selber nie in Kraft trat, fußt die deutsche Demokratie also bis heute auf ihr. Doch wie steht es mit der Erinnerung an den Ort, an dem sie erarbeitet wurde?

Bereits seit 2019 wird eine Sanierung der Paulskirche geplant. Zum Jubiläum 2023 sollten diese Sanierungsarbeiten dann beendet sein und die Paulskirche damit würdig, ohne Baugerüste, gefeiert werden. Doch daraus wird nun nichts. Erst nach dem Jubiläum, im Herbst 2023, sollen die Sanierungsarbeiten beginnen. Warum, ist schwer zu sagen. Wie so oft gebe es dafür keinen alleinverantwortlichen Grund, schreibt Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) auf Anfrage. Mutmaßen kann man nur, dass die Corona-Pandemie auch die Sanierungspläne für die Paulskirche gebremst hat. Wesentlich sei aber nun, so Feldmann, dass die Sanierung jetzt vom Bund, dem Land und der Stadt vorangetrieben würden. Auch ein „Haus der Demokratie“ soll im Zusammenhang mit den Sanierungen entstehen. Ein genauer Ort dafür steht noch nicht fest.

Im August 2021 wurde eine zwölfköpfige Expertenkommission für diese Planungen berufen. Unter dem Vorsitz von Volker Kauder (CDU) steht sie der Stadt Frankfurt beratend zur Seite und soll bis Mai 2023 ihre Vorschläge für die Paulskirchensanierung und für das „Haus der Demokratie“ vorlegen – bis zum Monat des Jubiläums. Dabei hatte die Römer-Koalition bereits im Juni 2021 klare Pläne für die Paulskirchensanierung gefasst. Wie es im Koalitionsvertrag heißt, solle eine „zügige Sanierung“ stattfinden und die Paulskirche „im Geiste der Nachkriegszeit“ erhalten. Die Entscheidung dafür ist inzwischen jedoch vor einem knappen Jahr gefallen. Zum Jubiläum wird man damit allenfalls die Pläne für die Paulskirchensanierung präsentieren können.

Demokratisches Erinnern

Das Erinnern an die Paulskirchenversammlung ist eine Art Gradmesser für den Stand der deutschen Demokratie. Das Deutsche Kaiserreich missachtete die Paulskirche weitgehend. Im Vordergrund seiner Gedenkkultur standen die Kaisergeburtstage und der sogenannte „Sedantag“, der den deutschen Sieg 1870 über Frankreich feierte. Erst die Weimarer Republik stellte das Erinnern an die Paulskirche ins Zentrum einer neuen, demokratischen Erinnerungskultur. Am 18. März 1923 zog Friedrich Ebert vor über 60 000 Zuschauern als Kopf eines Ehrenzugs in die Paulskirche ein. Frankfurts damaliger Oberbürgermeister Ludwig Landmann ehrte Ebert, den ersten demokratischen Präsidenten Deutschlands, daraufhin mit einer Gedenkstatue. Diese enthüllte Landmann 1926, nach Eberts Tod im Vorjahr. Gerade einmal sieben Jahre später zerstörten die Nationalsozialisten die deutsche Demokratie. Sie ließen jedes Erinnern an die Paulskirche entfallen und montierten auch das Ebert-Denkmal von der Kirche ab. Letztlich sollte die Zerstörung, die Hitler in die Welt brachte, auch die Paulskirche treffen. Bei den Bombardierungen Frankfurts am 18. und 19. März 1944 fing die Paulskirche Feuer und brannte daraufhin vollständig aus. Die Demokratie war schon zuvor zerstört worden. Nun stand auch die Paulskirche – als ihr Symbol – als eine Ruine da. Beide musste man im Nachkriegsdeutschland wiederaufbauen.

Verfechter einer historisierenden Sanierung behaupten, die Paulskirche habe ihre Nachkriegsform nur durch einen bloßen Materialmangel erhalten. Das ist falsch. Aus ganz Deutschland kamen Geld- und Materialspenden zusammen. Sogar die SED sendete Baumaterial. Statt eines Materialmangels war eine architektonische Umorientierung ausschlaggebend. Vom groben Pathos der NS-Architektur galt es sich abzuwenden. Der neuen Demokratie wollte man mit Nüchternheit und Pragmatismus ihre Ausdrucksform geben. So wurde die Paulskirche am 18. Mai 1948 wiedereröffnet. Doch wie steht es heute um die Demokratie?

Sanierungsbedürftige Demokratie

Bei einem dauerhaften Sich-Etablieren einer neu-rechten Partei, bei Selbstvergleichen mit NS-Opfern, bei anhaltendem Antisemitismus und (man soll es nicht verleugnen) auch bei gewissen expertokratischen Sympathien der Bildungseliten, sieht man die Demokratie heute beschädigt. Am schwersten jedoch zeigt der Schaden sich in etwas, das noch vor einem halben Jahr undenkbar schien: einem innereuropäischen Eroberungskrieg. Ein autokratischer Führer richtet seine Großmachtpläne gegen die Demokratie. Man muss anerkennen: Auch die Demokratie weist heute Risse auf. Auch sie ist sanierungsbedürftig geworden.

Auch die Politik erkennt diese Parallele. Bei ihrem gemeinsamen Paulskirchen-Besuch am 28. Februar 2022 sprachen Peter Feldmann (SPD) und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) vom Paulskirchenjubiläum deshalb als einer „Chance für demokratische Erneuerung“. Claudia Roth nannte dabei explizit den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als Hintergrund dieser Aussage. Doch diese „Chance für demokratische Erneuerung“ scheitert nun aber an der Sanierung – also der „Erneuerung“ – der Paulskirche. Ein Zeichen wollte man mit der Sanierung setzen, hieß es. Aber so setzt man ein schwaches Zeichen.

Das Jubiläum

In einem Baugerüst wird man die Paulskirche nicht feiern müssen. Zumindest die Sanierungspläne werden – so die Planung – zum Jubiläum vorgelegt werden. Und im Sinne eines demokratischen Aufbruchs hat man sich für eine Sanierung im Stil der Nachkriegszeit entschieden. Doch diese Sanierung kommt zu spät. Die Paulskirche wird an ihrem Ehrentag, als Jubilarin, alt aussehen. Die „Chance für demokratische Erneuerung“ bleibt damit ungenutzt. Es ist eine verpasste Chance.

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Dieser Text ist Teil 1 unserer neuen Themenreihe „Demokratie gestalten“, die von Chefredakteurin Jasmin Schülke und Paula Macedo Weiß kuratiert wird. Er ist zuerst in der Mai-Ausgabe (5/22) erschienen.
 
30. Mai 2022, 12.11 Uhr
Julian Mackenthun
 
 
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