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Foto: Stadt Frankfurt am Main
Foto: Stadt Frankfurt am Main

Stephan Siegler über Feminismus und Frauenrechte

„Solange wir die gesellschaftlichen Unterscheidungen nicht überwinden, wird sich nichts ändern“

Stephan Siegler (CDU) ist seit 2014 Vorsteher der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. Mit dem JOURNAL FRANKFURT hat er über die gesellschaftliche Stellung der Frau, Abtreibung und Sexismus in der CDU gesprochen.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Siegler, im April dieses Jahres haben Sie während einer Plenarsitzung eine Rede zu Frauenwahlrecht und Gleichberechtigung gehalten – und dabei zum Ausdruck gebracht, dass in unserer Gesellschaft keine vollkommene Gleichstellung herrscht. Was hat Sie zu dieser Rede – und dieser Feststellung – bewogen?
Stephan Siegler: Rein formal hat mich dazu bewogen, dass wir 2019 100 Jahre Frauenwahlrecht feiern und damit auch die erste Stadtverordnetenversammlung, bei der Frauen sich nicht nur durch Zwischenrufe aus dem Publikumsbereich mitteilen, sondern wirklich mitmachen durften. Seither hat sich einiges entwickelt, aber wir müssen uns damit befassen, welche Frauen heute in der Politik tätig sind. Bei genauerer Analyse müssen wir feststellen, dass wir es meist entweder mit Frauen zu tun haben, die die Familienphase bereits hinter sich haben, oder mit Frauen, die keine Kinder haben.

Inwiefern ist das problematisch?
Das ist insofern ein Problem, als dass sämtliche Entscheidungen, die wir in der Stadtverordnetenversammlung treffen, 10, 20 oder auch 30 Jahre in die Zukunft wirken. Je mehr Geld ich habe, desto eher kann ich mir meine notwendigen Rahmenbedingungen selbst schaffen. Aber sobald weniger Einkommen vorhanden ist, bin ich auf einen funktionierenden Staat angewiesen, der alle Lebensrealitäten bedenkt, sei es bei Fragen nach der Kinderbetreuung oder bei der Stadtplanung und der Schaffung von Wohnraum. Um sinnvolle Antworten zu finden, brauchen wir Frauen in der Politik, insbesondere solche mit Kindern, um überhaupt einen Eindruck von den verschiedenen Lebensrealitäten zu erhalten.

Aber da begegnen wir dem Problem, dass es Frauen noch immer schwer gemacht wird, Beruf und Familie zu vereinbaren. Davor sind auch Politikerinnen nicht geschützt.
Und deshalb müssen wir die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für ein solches Engagement schaffen. Wie schaffen wir es, dass sich Männer und Frauen gleichermaßen einbringen können? Ein Schlüsselproblem ist auch unser Umgang mit Frauen in Führungspositionen. Wie geht man denn mit einer Kanzlerin Merkel um, die vor den Augen der Öffentlichkeit zittert, und wie ging man dagegen mit einem Kanzler Kohl um, der schlimme Prostata-Probleme hatte? Bei Kohl wurde sein Kampf gegen die gesundheitlichen Probleme als Stärke und Durchsetzungskraft wahrgenommen, bei Merkel ist ihr Zittern schon beinahe ein Rücktrittsgrund.

Solange wir es nicht schaffen, diese gesellschaftlichen Unterscheidungen zu überwinden, wird sich nichts ändern. Man hat sich in unserer Gesellschaft irgendwann glücklicherweise dazu entschiedenen, dass Frauen Abitur machen, studieren und Berufe erlernen dürfen – aber dann muss man auch die Rahmenbedingungen schaffen, damit Frauen einer vollen Berufstätigkeit nachgehen können.

Wie wollen Sie diese Rahmenbedingungen schaffen?
Es gibt einen Bereich, in dem ich Einfluss nehmen kann, und zwar in der Stadtverordnetenversammlung. Da machen wir bereits eine ganze Menge. Beispielsweise übernehmen wir die Kinderbetreuungskosten, wenn der Kindergarten geschlossen ist. Es kann nicht sein, dass Frauen – und die trifft es ja im Regelfall – nicht zur Sitzung eines Ausschusses kommen können, weil der abends lange tagt und die Kinderbetreuung privat nicht geregelt werden kann. Solche Situationen müssen wir lösen. Aber auch das ist letztlich nur ein kleiner Schritt. Viel wichtiger noch ist die Frage, wie wir wieder mehr Menschen, die sich in der Familienphase befinden, überhaupt in die politischen Prozesse bekommen. Darauf eine Antwort zu finden, muss Aufgabe aller Parteien sein. Die aktuellen Altersstrukturen sprechen für sich. Wir müssen eine Kultur schaffen, in der es selbstverständlich ist, dass bei Parteitagen eine Kinderbetreuung angeboten und auch genutzt wird, damit jüngere Menschen teilnehmen und vor allem mitgestalten können. Solange wir mit einer überalterten Truppe unterwegs sind, werden wir zunehmend an den relevanten Themen vorbeiziehen.

Ist die CDU denn eine Partei, die für junge Frauen interessant ist?
Ja. Die CDU steht jungen Frauen zumindest offen. Ich denke, das Bild, das in den Medien transportiert wird, ist oft verstaubter und schlechter, als es in der Realität tatsächlich ist. Bei unserer Auftaktveranstaltung für das Kommunalwahlprogramm hat man gemerkt, dass wir bei der Frankfurter CDU bereits einen Generationenwechsel hinter uns gebracht haben.

Dennoch gibt es in Ihren Reihen Herren, die sich gerade in den sozialen Medien immer wieder sexistische Ausfälle leisten und mit antiquierten Frauen- und Gesellschaftsbildern hausieren gehen. Das macht die Frankfurter CDU nicht unbedingt attraktiv.
Ich weiß leider, wen und was Sie meinen: Bei solchen Ausfällen kriege ich die Krise! Ich halte es frei nach Friedrich II.: „Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden.“ Ich setze gerne noch dazu: solange es niemandem schadet. Das gilt für sämtliche Lebensentwürfe. Ob mit oder ohne Kind, verheiratet oder nicht – es gibt nicht den einen richtigen Lebensweg. Jede und jeder muss die für sich persönlich beste Lösung finden – und die muss die Gesellschaft, auch die Politiker, aushalten können.

Würden Sie das so konkret auch auf das Thema Abtreibung und damit auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau beziehen?
Ja, selbstverständlich. Das habe ich auch immer so in der Partei vertreten. Wir haben eine Fristenlösung, es gibt die entsprechenden Verfassungsgerichtsurteile. Wer eine andere Meinung dazu hat, steht nicht auf dem Boden der Verfassung.

Wie gehen Sie denn mit den Kollegen um, die sich Online sexistisch äußern oder Frauen das Entscheidungsrecht über den eigenen Körper absprechen wollen?
Darauf reagiere ich mit klaren Ansagen. Die Männer, von denen wir hier reden, sind ja überwiegend auch keine dummen Menschen, die aus der Gesellschaft herausgefallen sind. Das sind eigentlich richtig kluge Köpfe, erfolgreich in ihren Berufen – aber sie leben in der Steinzeit. Deren Lebenswirklichkeiten haben nichts mit der Lebenswirklichkeit Frankfurts zu tun. Auch für diese Männer gilt natürlich vorhin angeführtes Zitat. Wenn sie so leben wollen, und wenn deren Ehefrauen mit ihren Kindern so leben wollen, sollen sie das tun. Die Toleranz bringe ich mit – aber Toleranz ist keine Einbahnstraße.

Würden Sie sich selbst als Feministen bezeichnen?
Nein, ein Feminist bin ich nicht – sondern einfach vernünftig.

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Über Stephan Siegler: Jahrgang 1965, Polizeiausbildung in Kassel und Wiesbaden, seit 1988 Mitglied der CDU, seit 1997 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Main, seit 2014 Stadtverordnetenvorsteher.

Weitere Artikel zum Thema Feminismus und Frauenrechte finden Sie in der Ausgabe 07/2019 des JOURNAL FRANKFURT sowie unter www.journal-frankfurt.de/gleichberechtigung.
 
19. Juli 2019, 10.28 Uhr
Ronja Merkel
 
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. – Mehr von Ronja Merkel >>
 
 
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