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Literatur
Der Kleinbürger im Literatur-Großformat
Der Frankfurter Schriftsteller und Büchnerpreisträger Wilhelm Genazino ist tot. In Frankfurt hat er studiert, gelebt, geschrieben; die Stadt war Schauplatz und Bühne für seine eigenbrötlerischen, melancholischen Helden. Ein Nachruf
Wilhelm Genazino war kein gebürtiger Frankfurter, doch zum einen hat er in Frankfurt studiert, gelebt, geschrieben; zum anderen war die Stadt Schauplatz und Bühne für seine eigenbrötlerischen, melancholischen Helden.
Genazino studierte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität (was man halt so studierte seinerzeit, Germanistik, Philosophie, Soziologie); er war Redakteur bei der Satirezeitschrift „Pardon“. Sein erster großer literarischer Erfolg war die so genannte „Abschaffel“-Trilogie, erschienen von 1977-1979, die auch im Mittelpunkt der Aktion „Frankfurt liest ein Buch“ des Jahres 2011 stand. Genazino verband darin die Darstellung des Angestelltenlebens der 1970er-Jahre mit einem Porträt der Stadt. Es war die Geburtsstunde eines Antiheldentypus, den Genazino in seinen folgenden Romanen weiterentwickelte: Der des melancholischen, mittelalten Flaneurs, der sich treiben lässt, in jeder Hinsicht, mit seinen Nöten im Job und bei den Frauen. Der Kleinbürger im Literatur-Großformat, das war Genazinos Spielfigur, die er mit tiefgründigem Humor und Ironie auf dem Spielfeld der Widrigkeiten der Existenz hin- und herbewegte.
Eine Literatur, die durchaus, wenn auch über Umwege, als eine Form der engagierten Literatur gelten durfte. Denn die Versprechungen auf eine Änderung der in den Romanen beschrieben Zustände blieben stets allesamt unerfüllt. „So geht es nicht weiter! So kann es nicht weitergehen! Es muss alles ganz anders werden! Ich kann mich nicht jeden Tag in der Stadt herumtreiben!“ So lässt Genazino seine Romanfigur Abschaffel sprechen. Und man kann ihr entgegnen: Doch, das geht.
2004 wurde Genazino mit dem Büchnerpreis, dem bedeutendsten deutschen Literaturpreis ausgezeichnet. Zu dieser Zeit war die Kritik bereits geteilt: Genazino schreibe seit Jahrzehnten immer wieder dasselbe, exakt gleich lange Buch, und das sei auch noch schlecht, hieß es. Oder: Genazino radikalisiere sich mit jedem Buch auf subtile und faszinierende Weise ein Stück mehr, indem er seine Durchschnittshelden immer ein kleines Stückchen weiter von uns allen und einem funktionierenden Gemeinwesen wegrücke. Beide Lesarten haben ihre Berechtigung.
Im Januar 2018 hatte Wilhelm Genazino seinen 75. Geburtstag gefeiert; einige Wochen später war sein Roman „Kein Geld, keine Uhr, keine Mütze“ erschienen. Darin stand der Satz: „Und doch begann ich mich herauszuputzen, damit ich auf den Tod einen guten Eindruck machte.“ Wie Genazinos Verlag, der Carl Hanser Verlag, mitteilte, ist Wilhelm Genazino, der 2014 mit der Goetheplakette der Stadt Frankfurt ausgezeichnet wurde, am 12. Dezember gestorben.
Genazino studierte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität (was man halt so studierte seinerzeit, Germanistik, Philosophie, Soziologie); er war Redakteur bei der Satirezeitschrift „Pardon“. Sein erster großer literarischer Erfolg war die so genannte „Abschaffel“-Trilogie, erschienen von 1977-1979, die auch im Mittelpunkt der Aktion „Frankfurt liest ein Buch“ des Jahres 2011 stand. Genazino verband darin die Darstellung des Angestelltenlebens der 1970er-Jahre mit einem Porträt der Stadt. Es war die Geburtsstunde eines Antiheldentypus, den Genazino in seinen folgenden Romanen weiterentwickelte: Der des melancholischen, mittelalten Flaneurs, der sich treiben lässt, in jeder Hinsicht, mit seinen Nöten im Job und bei den Frauen. Der Kleinbürger im Literatur-Großformat, das war Genazinos Spielfigur, die er mit tiefgründigem Humor und Ironie auf dem Spielfeld der Widrigkeiten der Existenz hin- und herbewegte.
Eine Literatur, die durchaus, wenn auch über Umwege, als eine Form der engagierten Literatur gelten durfte. Denn die Versprechungen auf eine Änderung der in den Romanen beschrieben Zustände blieben stets allesamt unerfüllt. „So geht es nicht weiter! So kann es nicht weitergehen! Es muss alles ganz anders werden! Ich kann mich nicht jeden Tag in der Stadt herumtreiben!“ So lässt Genazino seine Romanfigur Abschaffel sprechen. Und man kann ihr entgegnen: Doch, das geht.
2004 wurde Genazino mit dem Büchnerpreis, dem bedeutendsten deutschen Literaturpreis ausgezeichnet. Zu dieser Zeit war die Kritik bereits geteilt: Genazino schreibe seit Jahrzehnten immer wieder dasselbe, exakt gleich lange Buch, und das sei auch noch schlecht, hieß es. Oder: Genazino radikalisiere sich mit jedem Buch auf subtile und faszinierende Weise ein Stück mehr, indem er seine Durchschnittshelden immer ein kleines Stückchen weiter von uns allen und einem funktionierenden Gemeinwesen wegrücke. Beide Lesarten haben ihre Berechtigung.
Im Januar 2018 hatte Wilhelm Genazino seinen 75. Geburtstag gefeiert; einige Wochen später war sein Roman „Kein Geld, keine Uhr, keine Mütze“ erschienen. Darin stand der Satz: „Und doch begann ich mich herauszuputzen, damit ich auf den Tod einen guten Eindruck machte.“ Wie Genazinos Verlag, der Carl Hanser Verlag, mitteilte, ist Wilhelm Genazino, der 2014 mit der Goetheplakette der Stadt Frankfurt ausgezeichnet wurde, am 12. Dezember gestorben.
14. Dezember 2018, 16.12 Uhr
Christoph Schröder
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