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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Ernst-May-Viertel

Traumschlösser an der Autobahn

Zwischen Bornheim und Seckbach sollen mit dem Ernst-May-Viertel Wohnungen entstehen – außerdem die Autobahn einen Lärmschutzdeckel bekommen. Doch Bürgerinitiativen stellen die Planung in Frage.
Am Ende des Günthersburgparks liegt ein unscheinbarer Parkplatz. Links geht es durch ein Holztor zum Abenteuerspielplatz Günthersburg, daneben reihen sich Klein- und Freizeitgärten aneinander. Um dieses Gebiet ist ein erbitterter Streit entflammt: Hier soll, wenn es nach dem in diesen Tagen abgewählten Planungsdezernenten Olaf Cunitz (Grüne) geht, das sogenannte „Innovationsquartier“ entstehen: 1500 Wohnungen, die unter Kriterien nachhaltigen Städtebaus errichtet werden. Dafür müssen acht Hektar Gärten weichen – und der Abenteuerspielplatz. Reiner Falk, der ihn seit 1992 leitet, setzt sich dagegen zur Wehr: „Unser Kreativspielplatz ist einer der wenigen Orte, an dem Stadtkinder tun können, was ihnen sonst verwehrt bleibt: Auf Bäume klettern, Lagerfeuer machen, mit Wasser, Luft und Erde experimentieren. Sie können hier Holzflieger und Traumschlösser bauen.“ Ob er einen neuen Standort erhalten wird, ist noch unklar.

Im April hat der Magistrat die Vorlage zum Innovationsquartier beschlossen, im Juli soll die Stadtverordnetenversammlung über sie entscheiden. Eigentlich. Wie die Frankfurter Neue Presse berichtet, gibt es im Planungsausschuss Vorbehalte gegen die Planungen.

Das Innovationsquartier ist Teil des Mammutprojektes „Ernst-May-Viertel“, bei dem zwischen Nordend, Bornheim und Seckbach bis zum Jahr 2028 in acht Neubaugebieten knapp 4000 neue Wohnungen entstehen sollen. Im Zentrum der Planung steht ein Autobahntunnel auf der A 661, eine 400 Meter lange Einhausung zwischen Friedberger und Seckbacher Landstraße. Hier soll eine öffentliche Grünfläche entstehen, die „Grüne Mitte“. Für weiteren Lärmschutz sollen Wohngebäude an der Autobahn sorgen, die die dahinter liegenden Viertel abschirmen.

In einem ersten Schritt sollen drei Neubaugebiete entstehen, neben dem sogenannten Innovationsquartier „Atterberry-Ost“ und „Nördlich des Günthersburgparks“. Doch auch die Bürgerinitiative „Grüne Lunge am Günthersburgpark“ (BI) kämpft gegen die Bebauungspläne der Stadt und für den Erhalt der Freizeitgärten. „Es ist das letzte wirklich große Gebiet mit hoher Biodiversität mitten in der Stadt, eine solche Vogelund Pflanzenvielfalt gibt es in keinem Park“, sagt Hansjörg Brecht. Grün gegen Wohnungsbau, Abenteuerspielplatz gegen Tiefgarage: Im Jahr 2016 klingt das nach einem Kampf von David gegen Goliath.

Doch Brecht, Siegrun Pässler, Gudrun Jung und Peter Beckmann wirken nicht wie realitätsferne Hippies, sondern wie selbstbewusste Bürger, die sich um die schwindenden Freiräume ihrer Stadt sorgen. Auch aus klimatischen Gründen sei die Bebauung der Flächen nicht geraten, erklärt Brecht, verläuft hier doch die drittwichtigste Frischluftschneise Frankfurts, durch die der kühlende Wetterauwind hereinkommt. Wir spazieren hinein ins unbändige Grün, zwischen Johannisbeersträuchern und wilden Erdbeeren, duftenden Rosen und rankendem Wein. Würde nicht in der Ferne die Friedberger Landstraße rauschen, wähnte man sich im idyllischen Nirgendwo. Vierzig verschiedene Vogelarten leben hier, Fledermäuse und Füchse.

An schönen Wochenenden spazieren zahllose Fußgänger vorbei, auf dem Weg zum Bornheimer Friedhof, zum Café oder gleich zum Lohrberg. „Wenn die Bebauung kommen würde, wäre das nach zwanzig Jahren ein tiefer Einschnitt in mein Leben, die Zerstörung eines Lebensmittelpunktes“, erzählt Peter Beckmann. „Ich finde, dass die Politik erstmal eine Verantwortung trägt für diejenigen, die hier leben und die sie gewählt haben, und nicht für Immobilienunternehmen.“ Ein Investor hat sich bereits die Kaufoption auf 40 Prozent der Baufläche des „Innovationsquartiers“ gesichert, es geht um viel Geld – und für die BI um die Frage, wer von dem neuen Wohngebiet profitieren wird.

Letztlich geht es hier wie vielerorts um die Frage, wie eine lebenswerte Stadt aussehen kann. Bald könnten 80 Prozent aller Menschen in Städten leben, die Wohnraumfrage ist längst zu einer sozialen geworden. Dank rasant steigender Mietpreise findet derzeit eine ebenso rasende Entmischung statt, die das, was den besonderen Reiz des Stadtlebens ausmacht, zu eliminieren droht: Heterogenität, das spannende, inspirierende, mitunter auch konflikthafte Nebeneinander des Verschiedenen. Dass es neuen Wohnraum braucht in Frankfurt, ist unbestritten. Aber wie? Anruf bei Dr. Michael Denkel, Mitglied der Geschäftsführung des Architekturbüros Albert Speer & Partner (AS&P). 2009 erhielt AS&P vom Stadtplanungsamt den Auftrag, die Möglichkeiten einer Überdeckelung der A 661 auszuloten. „Wir haben festgestellt“, berichtet Denkel, „dass man aus der tatsächlich sehr kostspieligen Einhausung viel Platz für neue Wohnungsflächen gewinnen und zugleich den Grünbezug funktional verbessern könnte.“

Es klingt nach einem großen Wurf, der drei Fliegen mit einer Klappe schlägt: Eine begrünte Einhausung würde die Kluft schließen, die die Autobahn derzeit in die Stadtlandschaft schneidet, eine Verbindung zwischen Günthersburgpark und Huthpark schaffen und zugleich neue Baugebiete ermöglichen. In seinem umfangreichen Gutachten empfiehlt AS&P eine 1,03 km lange Einhausung, um aus einem „derzeit unattraktiven verlärmten Bereich“ ein „ansprechendes innerstädtisches Gebiet zu entwickeln“. Das Gebiet des heute geplanten „Innovationsquartiers“ markiert das Gutachten übrigens als „freizuhaltende Flächen aus klimatischen Gründen“.

Den darauf folgenden Architekturwettbewerb aber gewann der Entwurf von Pesch und Partner aus Stuttgart, der einen 400 Meter langen Tunnel und Wohngebäude direkt an der Autobahn vorsieht. Diese sollen einen ähnlichen Effekt haben wie ein längerer, aber teurerer Tunnel. Mit Kosten von 90,9 Millionen Euro rechnet das Planungsdezernat derzeit, von denen 33,3 Millionen der Bund übernehmen soll. Mit dem Bau kann es allerdings noch dauern: Er ist für die letzte Planungsphase des „Ernst-May-Viertels“ in den Jahren 2022 bis 2028 anvisiert. Es kann jedoch noch später werden, schließlich ist zurzeit noch nicht mal klar, ob und wann die A 661 sechsspurig ausgebaut wird.

Für Planungsdezernent Olaf Cunitz (Grüne) ist es jedoch keine Frage, dass die Einhausung kommen wird – sie werde von einem breiten politischen Bündnis getragen. „Die Einhausung ist und bleibt das zentrale Element der gesamten Entwicklung“, sagt er (lesen Sie hier das komplette Interview). „Sie ist aber sowohl von den rechtlich-planerischen als auch von den baulichen Voraussetzungen der komplizierteste Teil und wir sind da ja nicht eigenverantwortlich tätig, sondern auch abhängig davon, was Bund und Land entscheiden. Die drei Bebauungspläne, für die wir jetzt Aufstellungsbeschlüsse auf den Weg gebracht haben, sind Entwicklungsschritte, die schneller gehen.“ Zudem könnten die Stadtverordneten sich mithilfe der nun vorliegenden Informationen ja auch dafür entscheiden, den Beschluss für den Bebauungsplan „Atterberry-Ost“ für die Gebäuderiegel an der Autobahn nicht zu fassen, sondern eine längere Einhausungsvariante zu prüfen. Damit läge der Ball nun bei der Stadtverordnetenversammlung.

Für Friedhelm Ardelt-Theek, den Sprecher der Bürgerinitiative „Aktionsbündnis unmenschliche Autobahn“ (AUA), ist der geplante Autobahndeckel nicht mehr als eine „Wildbrücke“. Seit Jahren kämpft der Jurist für eine Einhausung der A 661. 2012 war er Teil eines von der Stadt einberufenen Planungsbeirates aus Experten, der sich schließlich für eine 1,2 km lange Volleinhausung aussprach. Jetzt fühlt er sich ordentlich verschaukelt: „Dass nun Wohngebäude als Schallschutz benutzt werden, ist ein Rückfall in die 60er-Jahre!“ Zudem befänden sich diese direkt an den Tunnelausgängen, wo mit sehr hoher Lärm- und Schadstoffbelastung zu rechnen sei. Tatsächlich fragt man sich, wer dort leben soll. Nach aktuellen Zahlen fahren täglich 117000 PKW und 10400 LKW über die A 661, Tendenz steigend.

Und so scheint es, als sei an die Stelle des großen Wurfes, den das Gutachten von AS&P skizziert, der neues innerstädtisches Grün mit neuen Wohngebieten verbindet, ein fauler Kompromiss getreten, der viele Fragen offenlässt.
 
11. Juli 2016, 11.00 Uhr
Esther Boldt
 
 
Fotogalerie: Ernst-May-Viertel
 
 
 
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