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Brandbrief von Stephan Hebel

Warum sich AfD-Wähler unglücklich machen

Der Journalist Stephan Hebel veröffentlichte gegen die AfD einen Brandbrief. Der ist nun in voller Länge als „Büchlein“ erschienen. Ein Appell an die Enttäuschten und Wütenden, ihren Protest nicht zu vergeuden.
Am Abend des 4. September 2016 war Stephan Hebel überzeugt, etwas sagen zu müssen. Die AfD hatte bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 20,8 Prozent der Stimmen erhalten und stellt so hinter der SPD, aber noch vor der CDU, die zweitstärkste Partei des Landes. In einem Brandbrief, der zwei Tage nach der Landtagswahl in der Frankfurter Rundschau (FR) veröffentlicht wurde, ruft er dazu auf, nicht den leeren Versprechungen von einer heilen, nationalen Welt zu glauben, deren Probleme leicht mit den Geflüchteten abzuschieben seien.

„Sehr geehrter AfD-Wähler, wählen Sie sich nicht unglücklich!“, heißt nun Stephan Hebels Buch. Der langjährige Leitartikler und FR-Autor, der regelmäßig auch im Presseclub der ARD mitdiskutiert, will diejenigen ansprechen, die mit dem Gedanken spielen, die Alternative für Deutschland (AfD) zu wählen. Einerseits. Andererseits aber auch diejenigen, die Argumente suchen, um das zu verhindern. Nicht jedoch die „eingefleischten Rassisten unter den AfD-Wählern, die auf Ausländer und Minderheiten sowieso nur Hass verspüren“, wie es schon im Klappentext des Buches heißt. Diese Menschen würde er ohnehin nicht mit „Sehr geehrter…“ ansprechen.

Der Brief richtet sich also an Leute, die aus Protest wählen und der etablierten Politik einen Denkzettel verpassen möchten. Doch das blinde „Protestwählen“ einer Partei, deren eigentliche Politik viele gar nicht kennen, birgt auch für den Wähler selbst Gefahren. Denn laut Hebel würde die Politik der AfD „Deutschland noch ungerechter machen“.



Viele Wähler beschäftigen sich wenig mit der eigentlichen Politik der AfD
Hebel selbst spricht von einem „Büchlein“ – und in dem will er offenlegen, welchen politischen Inhalt die AfD eigentlich vertritt und wieso diese Deutschland noch ungerechter machen würde. Beispiel gefällig? Die AfD plädiere in ihrem Parteiprogramm für die Abschaffung der Vermögens- und der Erbschaftssteuer. An dieser Stelle müsse man hinterfragen, wo eine AfD-Regierung das Geld einsparen würde, „das der Staat durch diese Steuerpolitik für die Wohlhabenden verliert.“ Denn die Kosten, die der Staat für Flüchtlinge ausgibt (besser: investiert), seien nicht annähernd so hoch, wie es die AfD gerne darstelle. Der Autor zeigt anhand offizieller Statistiken, dass die Kosten für die Flüchtlingspolitik einen sehr kleinen Prozentsatz des deutschen Haushaltes ausmachen.

Viele der Wähler gaben der AfD ihre Stimme, weil sie den etablierten Parteien „eins auswischen“ wollen. Ob diese Protestwähler je einen Blick in das Parteiprogramm der AfD geworfen haben, ist zumindest sehr fraglich. Es geht ihnen wohl mehr um das Kalkül, dass die Erfolge dieser Partei die Etablierten in Schwierigkeiten bringt. Es gehe, meint auch Hebel, „um das Erreichen einer bestimmten Politik.“



Den Protest nicht vergeuden
Hebel kommt in seinem Buch auch darauf zu sprechen, dass er die Enttäuschung und Wut vieler Wähler nachvollziehen könne. Er teilt sie in gewissem Maße sogar. Das liege aber nicht an der Aufnahme der vielen geflüchteten Menschen, sondern daran, dass das Geld des Staates nicht in die Menschen (egal ob alteingesessen oder zugewandert) investiert würde.

Dass zudem das Bild von Merkel als „Flüchtlingsfreundin“ gezeichnet wird, ist für den Autor ein Rätsel. Jahrelang habe Merkel und ihre Politik die Flüchtlingsprobleme anderen Staaten überlassen. Das liege auch an den Dublin-Regeln, nach denen Flüchtlinge in ihrem Ankunftsland bleiben müssen. Vor allem Italien, Spanien oder Griechenland waren auf Hilfe angewiesen. Zu spät wurde Deutschland aktiv, ließ dann viele Flüchtlinge in kurzer Zeit ins Land. Zur „Politik der Abschottung“ sei man doch längst wieder zurückgekehrt, meint Hebel. Erst als die Türkei zusagte, den Flüchtlingsstrom über die Ägäis nach Europa zu unterbinden, half die EU der Türkei mit ihren mehr als drei Millionen Flüchtlingen aus. „Diesen Deal hat federführend dieselbe Politikerin eingeleitet, der die AfD eine Politik der offenen Grenzen vorwirft, nämlich Angela Merkel“, erwähnt Hebel in seinem Buch.

Was wäre denn die bessere Alternative zur Alternative für Deutschland?
Was rät der Autor den Protestwählern? Auf Nachfrage sagt er: „Ich rate Protestwählern, sich – gerne mit Hilfe meines Buches – Rechenschaft über die wahren Ursachen ihrer Unzufriedenheit abzulegen, die schon lange vor den steigenden Flüchtlingszahlen existierten. Diese Ursachen liegen nicht in der Globalisierung, sondern in der fehlenden politischen Gestaltung und Eindämmung des grenzenlosen Kapitalismus, die für jeden Einzelnen Folgen hat.“ Damit meine er unter anderem den Abbau oder die Privatisierung staatlicher und sozialer Leistungen, den zunehmenden Arbeitsdruck, Abstiegsangst, Furcht vor Altersarmut oder Angst um eine stabile Zukunft für die eigenen Kinder. Das alles seien schließlich keine Hirngespinste. Doch rät Hebel eher dazu, „nach Parteien zu schauen, die sich bemühen, an diesen Problemen etwas zu ändern, statt sie auf Zuwanderer abzuschieben.“ Den Parteien würde er allerdings empfehlen, sich auf diese Themen wieder eindeutig zu besinnen.



Die AfD wird langfristig erfolgreich sein
Auch wegen der politischen Halbherzigkeit der etablierten Parteien prophezeit Hebel der AfD einen langfristigen Erfolg. Er fürchtet, „mit der AfD haben das Ressentiment, das ‚Abschieben’ sozialer Probleme auf vermeintlich Schuldige wie die Globalisierung, den Euro und die Flüchtlinge sowie der inhumane, unsinnige und unrealistische Traum von der Rückkehr zu ethnisch homogenen Gesellschaften ein stabiles Gefäß gefunden, leider. Und zwar deshalb, weil dieses im Kern rassistische Denken jetzt in einem gutbürgerlichen Gewand daherkommt und die sogenannte „Mitte“ sich nicht eindeutig dagegenstellt.“

Die Gefahren, die mit dem blinden Wählen einer Partei einhergehen, werden oftmals unterschätzt oder nicht beachtet. Denn die Stimmabgabe hat tatsächlichen Einfluss auf die Politik im Land. Mit über 20 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern wurde eine Partei zur zweitstärksten Kraft, deren Politik viele überraschen könnte. Hebel vermutet, dass die AfD-Politik indirekt spürbar sein wird, denn „man konnte schon im mecklenburg-vorpommerschen Wahlkampf beobachten, wie der spätere Sieger Erwin Sellering von der SPD teilweise auf eine flüchtlingsfeindliche Rhetorik eingeschwenkt ist.“ Hebel sei überzeugt, „dass das Kalkül der etablierten Parteien, der AfD durch Teil-Übernahme ihrer Hetzparolen das Wasser abzugraben, ins Gegenteil umschlagen wird: Sie werden auch in praktischen Entscheidungen eine AfD-Light-Politik abliefern.“ Das könne sich zum Beispiel dann zeigen, wenn es um AfD-Lieblingsthemen wie den Sexualkunde-Unterricht an Schulen geht. Er fragt sich, „wer sich auf Dauer noch traut, da ein Fass aufzumachen.“ Hessen habe sich bei diesem Thema noch nicht beirren lassen, „aber eine Garantie ist das nicht“, resümiert Hebel.

>> Stephan Hebel: Sehr geehrter AfD-Wähler, wählen Sie sich nicht unglücklich!
Ein Brandbrief. Westend Verlag, Frankfurt am Main, 64 Seiten, 8 Euro
 
27. Oktober 2016, 11.01 Uhr
Maximilian Gerten
 
 
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Text: ktho/dpa / Foto: © Adobe Stock/Tupungato
 
 
 
 
 
 
 
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