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Wagenknecht und Safranski im Cantatesaal

Politische Romantik mit Goethe

Beim Kongress "Politische Romantik" haben Sahra Wagenknecht (Linke) und Autor Rüdiger Safranski über Goethe, Faust und den Kapitalismus gesprochen. Dabei ging es auch um die Frage, wie viel Romantik in Goethe steckt.
Wenn man einen Kongress zur politischen Romantik veranstaltet, darf Goethe offenbar nicht fehlen. Schon allein, wenn die Sache in Frankfurt, genauer im Cantatesaal stattfindet, wo das Goethe-Haus nebenan liegt und wo bald ein Romantik-Museum gebaut werden soll. Aber eine scharfe Grenze zwischen dem Klassiker und den Romantikern wird schon lange nicht mehr gezogen, erst recht nicht im Ausland, wo Goethe gar als wichtigster Vertreter deutscher Romantik gilt. Und auch der Autor Rüdiger Safranski hat ihm am Freitagabend bescheinigt, dass Goethe zwar ein Realist gewesen sei, aber einer, der seine Geschäfte „mit romantischer Inbrunst betrieben“ habe, mit einem „unglaublichen imaginären Impetus“. Und Safranski muss es ja wissen, hat er doch vor einigen Jahren ein Buch über die Romantik und jüngst eine Goethe-Biografie veröffentlicht.

So diskutierte der Autor mit der Politikerin und Germanistin Sahra Wagenknecht (Linke) über den Dichter, dessen Lebensentwurf und darüber, wie sein Faust zu verstehen sei. Ausgangspunkt war die Frage, inwiefern von Goethes Leben als einem Kunstwerk gesprochen werden könne. Diese Auffassung hat Safranski seiner Biografie zugrunde gelegt. Das Kunstwerk, sagte Wagenknecht, habe darin bestanden, dass Goethe er selbst gewesen sei und sich nie verloren habe – auch wenn es zu Beginn seiner Dichterkarriere und auch später in Weimar durchaus Versuchungen dahin gegeben habe. „Goethe hat den großen Künstler in sich selbst erarbeitet“, so die Politikerin.

Goethes Betriebsgeheimnis sei, sagte Safranski, dass er die Literatur nicht als das Wichtigste betrachet habe. Das Leben hätte für ihn noch eine ganze Menge andere Herausforderungen gehabt, daher habe das Leben selbst zum Kunstwerk werden sollen.

Doch was, fragte Moderator Jens Bisky, sei mit der Goethe-Kritik? Sei die Zeit dafür vorbei? Safranski wollte nicht von "Goethes Opfern" sprechen und meinte, dass sich eine demokratische Gesellschaft schwer damit tue, sich mit dem Erhabenen anzufreunden. Wagenknecht wollte auch nicht Goethes Frauen als Opfer verstanden wissen. „Man muss Goethe in seiner Zeit sehen“, sagte sie und warnte davor, Goethes Umgang mit den Frauen durch die Brille des 21. Jahrhunderts zu sehen.

Diese Erkenntnis hielt Wagenknecht jedoch nicht davon ab, den Dichter durch ihre eigene rote Brille zu betrachten, als das Gespräch auf den Faust kam. Wie die Linke bereits in ihrer Safranski-Rezension geschildert hatte, bekräftigte sie im Cantatesaal erneut die These, dass Goethe in der Tragödie zweitem Teil die Widersprüchlichkeit des Kapitalismus zeige: Faust werde zum Unternehmer und Menschenschinder, der Tausch der Marktwirtschaft zum Raub. Indem Goethe Krieg, Handel und Piraterie eng führe, übe er eine "tiefe gesellschaftliche Kritik an der Kommerzialisierung und der Nützlichkeitsideologie". Damit habe sich der Dichter als "genialischer Prophet" erwiesen, weil er damit die negativen Entwicklungen der folgenden zwei Jahrhunderte vorweggenommen habe.

Für Safranski stellte sich die Angelegenheit nicht so klar dar, wie sie Wagenknecht gerne gehabt hätte. Er betonte die Ambivalenz in Goethes (Spät-)Werk, die sich nicht nur in den „ernsten Späßen“ des Faust, sondern auch in Wilhelm Meisters Wanderjahren zeigte. Ebenso wie es umstritten ist und immer bleiben wird, warum Fausts Seele errettet wird und wie die Erlösung zu verstehen ist, so sei auch nicht zu entscheiden, ob die Gesellschaftsentwürfe in den Wanderjahren Utopien oder Dystopien seien.

Zudem, so Safranski, habe Goethe immer den großen Begriffen und Ideologien misstraut. Ein Begriff wie Kapitalismus komme bei ihm nicht vor. Der Denker Goethe mochte es möglchst konkret, Theorien seien für ihn stets Übereilungen gewesen. „Goethe hat viel gespürt, aber in seiner Haltung schwankte er“, sagte Safranski. Er sei ein Okkasionalist gewesen, je nach Gelegenheit habe er die Dinge anders gesehen. Als Greis soll Goethe gesagt haben: „Man wird nicht 80, um immer dasselbe zu denken.“ Wagenknecht argumentierte biographistisch dagegen: Da das Drama am Ende seines Lebens entstanden sei, könne in der Frage, was Goethe gedacht haben könnte, als „letztes Wort“ gelten.

Die Diskussion zeigte jedoch, dass weder ein "letztes Wort" über Goethe noch über dessen Werk gesprochen werden kann. Vielmehr bewegen sich heutige Debatten in Diskursen, die seit zwei Jahrhunderten geführt werden und in denen sich die Argumente wiederholen. So brachte auch der Freitagabend im Cantatesaal wenig Erkenntnisgewinn, was Safranski mit seiner fast schon emphatischen, ja fast schon romantischen Erzählkunst wenigstens durch Unterhaltungswert ausglich. Dagegen konnte die trockene, steife Wagenknecht leider nicht mithalten. Doch so hielten sich immerhin Romantik und Realismus im Gleichgewicht.
 
14. April 2014, 10.10 Uhr
Lukas Gedziorowski
 
 
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