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Verleger Joachim Unseld:

„Wer nichts macht, wird zum Auslaufmodell“

Heute feiert Joachim Unseld den 25. Geburtstag seiner Frankfurter Verlagsanstalt. Die sei, so sagt er, ohne den Suhrkamp Verlag nicht denkbar. Eine Begegnung mit dem Verleger in Sachsenhausen.
Selbstverständlich muss das Wort fallen: „Suhrkamp“. Das ist so natürlich wie der Tag, der auf die Nacht folgt. Doch tatsächlich bleibt es bei dem einen einzigen Mal: „Die Frankfurter Verlagsanstalt“, sagt Joachim Unseld, „ist ohne die Vorgeschichte, ohne den Suhrkamp Verlag nicht denkbar.“ Und diese Vorgeschichte ist bekannt, oft erzählt als das große Drama, das Vater-Sohn-Zerwürfnis, in dem die böse Stiefmutter eine entscheidende Rolle spielt. Und weil es so oft erzählt wurde, soll es hier keine Rolle mehr spielen. Denn es geht um die Frankfurter Verlagsanstalt, Joachim Unselds Verlag, der heute seinen 25. Geburtstag feiert.

Das mit dem Geburtstag ist eine kleine, aber verzeihliche Mogelpackung, denn die FVA wurde erstmals 1920 ins Handelsregister eingetragen, 1951 zum ersten und 1987 zum zweiten Mal neu gegründet. Vor 25 Jahren waren es Klaus und Ida Schöffling, die aus dem Traditionsverlag eine kleine, aber feine Anlaufstelle für zeitgenössische literarische Neuerscheinungen machten. Doch die Gesetze des Marktes waren bereits seinerzeit brutal; der Verleger überwarf sich mit dem Gesellschafter, was dazu führte, dass sämtliche Autoren im November 1992 geschlossen dem Verlag den Rücken kehrten. Auch die dritte FVA war gescheitert – bis Joachim Unseld kam und den vierten Anlauf startete. Nach seinem Ausscheiden bei Suhrkamp im Jahr 1991 war ihm klar, dass er weiterhin Bücher verlegen würde. Doch zunächst ging er für ein Jahr in die USA, knüpfte Kontakte zur Filmindustrie, versuchte Abstand zu gewinnen.

Es folgte die Gründung eines eigenen Verlages, den er kurzerhand „Unseld Verlag“ nannte. Das war eine so nahe liegende wie konfliktbeladene Idee. „Ein anderer Unseld“, sagt Unseld junior diplomatisch, „war mit dieser Idee nicht einverstanden.“ Er ließ sich beraten, ging in sich und verzichtete schließlich darauf, dem neuen Verlag seinen eigenen Namen zu geben. Allerdings: „Irgendein Fantasiegebilde wollte ich auch nicht aus dem Boden stampfen.“ In der unmittelbaren Nachwiedervereinigungszeit kam Unseld auf den Gedanken, den Gustav Kiepenheuer Verlag, einen renommierten Ostverlag, von der Treuhand zu kaufen, „mein einziger Kontakt zur Treuhand. Eine erschreckende Erfahrung. Aber das ist eine Geschichte für sich.“ Die FVA lag mittlerweile brach; der stillgelegte Verlag ruhte in den ­Händen des Zürcher Haffmans Verlages. Im Oktober 1994 übernahm Joachim Unseld den Namen „Frankfurter Verlagsanstalt“. Sonst nichts. Eine Hülle, die es mit Inhalt zu füllen galt. Wie das geht, weiß Joachim Unseld, das hat er bei Suhrkamp gelernt. Und so erschien im Herbst 1995 das erste Programm des neuen Verlages, dessen Räumlichkeiten sich in einem Hinterhof in der Sachsenhäuser Danneckerstraße befanden.
Im Premierenprogramm fand sich unter anderem der erste Erzählungsband des bis dahin völlig unbekannten Ernst-Wilhelm Händler, „Stadt mit Häusern“, einer derjenigen, die unter den Fittichen von Joachim Unseld zu wichtigen Autoren der deutschsprachigen Gegenwart geworden sind. Die Liste derer, die sich da noch nennen ließen, ist lang: Christoph Peters, Thomas von Steinaecker, Nora Bossong. Den „aspekte“-Literaturpreis, den Preis für das beste deutschsprachige Debüt des Jahres, haben gleich mehrere FVA-Autoren erhalten. Am Spektakulärsten war sicherlich der Auftritt von Zoe Jenny im Jahr 1997. Die seinerzeit gerade einmal 23-jährige Schweizerin debütierte mit ihrem Roman „Das Blütenstaubzimmer“ und räumte auf geradezu sensationelle Weise ab – 400. 000mal, so sagt Joachim Unseld, habe der Roman sich bis heute verkauft. Doch die Floskel vom Segen, der gleichzeitig auch ein Fluch ist, darf an dieser Stelle nicht fehlen. Unseld vergleicht seinen kleinen, personell und logistisch im Vergleich zu den großen Konzernverlagen bescheidenen Verlag, mit einem kleinen Verein, der Jahr für Jahr seine großen Talente an die finanzstarken Bundesligisten verliert, „nur gibt es da wenigstens so etwas wie eine Aufwandsentschädigung“, sagt er. Dass eine Reihe junger Autoren, die er groß gemacht hat, sich finanzstarken, größeren Verlagen zuwenden in der Hoffnung auf größere Marketingkampagnen und bessere Verkaufszahlen, versucht Unseld nicht persönlich zu nehmen. Aber dass es einen klassischen Verleger wie ihn, dem es nicht um das einzelne Buch, sondern, ganz im Suhrkamp-Geist, darum geht, ein Werk aufzubauen, schmerzt, die Talente ziehen lassen zu müssen, liegt auf der Hand.

Trotzdem: Die FVA hat Substanz und Renommee. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie mit Autoren wie dem Belgier Jean-Philippe Toussaint oder auch Bodo Kirchhoff Größen im Portfolio hat, die sich sehen lassen können. Bodo Kirchhoff ist das Stichwort. In dessen ureigenstem Revier, im „Fellini“ am Schweizer Platz, treffen wir Joachim Unseld. Seinen Verlagssitz hat er zwar mittlerweile über den Umweg Bockenheim ins Westend verlegt, doch auch hier scheint er sich noch wohlzufühlen. Wir sprechen über die Zukunft. Nicht nur über die der FVA, sondern über die der Buchbranche im Allgemeinen. Joachim Unseld ist 58 Jahre alt, doch strahlt er immer noch eine jugendliche Vitalität und Energie aus. „Die alte Verständigung, die klassische Verwertungskette Autor – Verlag – Buchhandel – Leser ist“, so sagt Unseld, „gerade im Begriff, vollständig auseinanderzubrechen. Die Branche steht nicht vor einem Umbruch, sondern vor einem Neubeginn.“ Er mache nicht mehr, wie zu früheren Zeiten, mit 1000, sondern nur noch mit 500 Buchhandlungen Geschäfte, grob geschätzt. Was dahinter steckt, ist klar: Konzentration auf große Ketten. Doch auch die geraten zur Zeit ins Straucheln.
Der Wechsel vom analogen ins digitale Zeitalter trifft die Sparte Buch besonders heftig. „Ein Verleger“, so Unseld, „muss sich heute die Frage stellen, ob, wie und wie lange er noch gebraucht wird. Oder ob die Autoren irgendwann ihre Werke selbst ins Netz stellen.“ Andererseits weiß ein Mann wie Unseld, der den Mechanismus eines Verlages bis ins kleinste Rädchen kennt, nur allzu genau, in welchem Zustand Manuskripte häufig beim Verlag ankommen und wie viel Lektoratsarbeit nötig ist, um sie druckbar zu machen. Wie also ist es nun mit der Zukunft? „Wenn man gar nichts macht, wird man automatisch zum Auslaufmodell“, sagt Unseld. Er sieht für das, was die User heutzutage nur noch „Content“ nennen, einen Weg, der sich gabelt: „Wir müssen die gedruckten Bücher edler machen, wertvoller, teurer. Das gebundene Buch wird zum Luxusgegenstand für Bibliophile werden. Auf der anderen Seite steht dann das digitalisierte E-Book, das zum reinen Gebrauch bestimmt ist.“ Das Taschenbuch, so prophezeit er, könnte dabei auf der Strecke bleiben.

Es ist früher Abend. Das „Fellini“ leert sich langsam. Joachim Unseld hat gute Laune. Soeben hat er erfahren, dass „Die Liebe in groben Zügen“, der neue Roman von Bodo Kirchhoff, auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis gelandet ist. Ein erster Erfolg, aber nur ein Etappenziel. So ist das in einem sich verengenden Markt. Die Kurzlebigkeit eines Buches, an dem ein Autor über Jahre hinweg hart gearbeitet hat. „Vielleicht müssen wir in Deutschland irgendwann anfangen, Verlage zu subventionieren. In Frankreich geschieht das bereits, in Österreich ebenso.“ Die letzte offizielle Unseld-Äußerung für heute. Wir schalten das Aufnahmegerät aus und wechseln nach nebenan, zum Apfelwein Wagner. Es wird ein lustiger Abend.

Eine Version dieses Textes erschien zuerst im Journal Frankfurt vom 28. August 2012. Eine Rezension von Bodo Kirchhoffs neuem Roman lesen Sie hier.
 
11. Oktober 2012, 11.17 Uhr
Christoph Schröder
 
 
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