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Foto: Nicole Brevoord
Foto: Nicole Brevoord

Skulpturen von Sehbehinderten und Blinden

Kunst mit den Fingern sehen bei Tastamenta

Kunst anfassen? In vielen Museen nicht erlaubt. Bei der Ausstellung Tastamenta schon. Denn, so die Macher, gerade über den Tastsinn eröffne sich sowohl Blinden als auch Sehenden eine neue Welt.
Es ist eine besondere Ausstellung. Besonders, weil die rund 40 Exponate teilweise von sehenden, teilweise von sehbehinderten und blinden Künstlern aus Holz, Ton und Speckstein erschaffen wurden. Besonders aber auch, weil man sämtliche Skulpturen in der Schau anfassen kann, sogar auf Wunsch mit verbundenen Augen. Kalt, mal spiegelglatt, mal angenehm rau fühlen sich die Kunstwerke an, die Finger fahren forschend die Konturen nach, wie angenehm rund die Skulpturen sind, man versucht die Formen zu „begreifen“. Wo herkömmliche Museen den Besuchern dieses Tasten verweigern, aus Angst vor Schäden an der Kunst, dort wird den Interessierten aber gleichzeitig eine Dimension genommen und wie sonst könnte sich ein Blinder der Kunst nähern? Neue Wege geht die Ausstellung „Tastamenta“ des Berufsverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) und der Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte.

„Sie sehen hier Arbeiten von Menschen, die eine ganz andere Erlebnisebene haben, die Dinge mit den Händen sehen. Die Fingerkuppen, also jeweils 2 Quadratzentimeter, machen Formen identifizierbar“, sagt Uwe Wagner vom BBK. Die Idee zur Ausstellung stammt vom Trashkünstler Dieter Weiß, der seit drei Jahren beim BBK ist.

In Zusammenarbeit mit der Werkstatt-Galerie 37, ein bundesweit einmaliges Projekt für Blinde und Sehbehinderte, kuratierte er die Ausstellung. Heike-Marei Heß leitet die Galerie-Werkstatt, die Menschen mit beeinträchtigtem Sehvermögen immer stundenweise offen steht. Dort wird mit weichen Steinen wie Steatit, Holz aber auch Metall gearbeitet. „Für diesen Personenkreis ist der Zugang zum Kunstschaffen nicht leicht, sie können auch nicht einfach einen Volkshochschulkurs besuchen,“ sagt Heike-Marei Heß.

Sie steht den derzeit sieben aktiven Künstlern im Alter von 39 bis über 60 Jahren unterstützend beiseite, schult räumliches Vorstellungsvermögen und den Tastsinn, während die Sehbehinderten und Blinden – keiner von ihnen war von Geburt an blind – mit Raspeln und Feilen zu Werke gehen und Skulpturen erschaffen, zu denen viele Sehende nicht in der Lage wären. Durch die Raspeln habe man einen engeren Kontakt zu dem zu bearbeitenden Objekt, anders als etwa mit Hammer und Beitel.

Einer der Künstler ist Stephan Müller, dessen Skulptur im Foto oben zu sehen ist. Der sehbehinderte Mann sagt, er könne von seiner Kunst mittlerweile leben. Seine Skulpturen aus Holz und Muschelkalk stellt er in seiner Galerie (Fleck) in Bad Homburg aus. Viele Galerien hätten Berührungsängste gehabt einen sehbehinderten Künstler auszustellen, selbst wenn ihnen die Werke gefallen hätten. Der Maler und Bildhauer habe sich ausgegrenzt gefühlt und sich vor 13 Jahren kurzerhand selbst ausgestellt. „Ich fordere die Besucher auf, die Objekte anzufassen. Dann klopfen sie auf das Material, aber tasten – das geht anders. Dabei muss man sie streicheln wie einen Hamster oder einen Vogel.“ Recht flink zeigt Müller mit einem Blatt Papier und einer Schere, wie seine Formensprache entsteht. Mit wenigen Schnitten formt er ein Gesicht und bearbeitet es weiter bis ein Vogel erkennbar ist. Mit den Fingern fährt er an den Konturen entlang, genauso sollen die Umrisse der Skulptur einmal aussehen. Diese formt er tatsächlich mit einer Kettensäge ins Holz. "Eine Verlängerung meiner Hand", sagt er. Mit einem Finger und einem Ring daran habe er ein Gefühl für Winkel entwickelt. Die Arbeit: mittlerweile Routine.

Über reichlich Routine dürfte auch Helene Wenzel verfügen. Seit 26 Jahren kommt die Offenbacherin regelmäßig in die Werkstatt-Galerie. „Honeymoon“ heißt eine etwa kopfgroße Skulptur aus grünlich gemasertem Speckstein in Sichelform, aber auch die „Grand Dame“ eine größere eher bräunliche Skulptur fasziniert durch ihre Formgebung. Wenzel, die über ihr Alter nicht sprechen möchte, wurde sehbehindert geboren und erblindete mit 17 Jahren vollständig. „Schöne Dinge habe ich mir immer gerne angeguckt“ sagt sie. Mit der Erblindung habe es lange nichts für sie gegeben, das sie künstlerisch erfreute bis sie von der Werkstatt-Galerie 37 von der Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte hörte. Heute gehören ihre Skulpturen zu den vielen Highlights der Ausstellung.

>>Tastamenta bis 25.5.: BBK, Hanauer Landstraße 89, Mo 17–20, Do 10–12, So 15–19 Uhr. Für interessierte Gruppen und Schulklassen werden auch außerhalb dieser Zeiten Führungen angeboten. Anmeldung unter: Tel. 9551240 oder Mail an hess@sbs-frankfurt.de
 
28. April 2015, 09.03 Uhr
Nicole Brevoord
 
Nicole Brevoord
Jahrgang 1974, Publizistin, seit 2005 beim JOURNAL FRANKFURT als Redakteurin u.a. für Politik, Stadtentwicklung, Flughafen, Kultur, Leute und Shopping zuständig – Mehr von Nicole Brevoord >>
 
 
Fotogalerie:
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