Newsletter
|
ePaper
|
Apps
|
Abo
|
Shop
|
Jobs

Daniel Kehlmanns Poetikvorlesung

Die Geister von 1959

Daniel Kehlmann sprach bei seiner ersten Poetikvorlesung an der Goethe-Uni über vieles: Ingeborg Bachmann, Peter Alexander und Fritz Bauer - nur kaum über sich selbst oder über Poetik. Jedenfalls nicht direkt.
Je weniger man von sich selbst spricht, desto mehr offenbar man sich selbst. Das geht jedenfalls aus Ingeborg Bachmanns Poetikvorlesung hervor. Demnach wäre das Tagebuch, das mit seiner Ich-Bezogenheit die intimste aller Literaturgattungen zu sein scheint, die Form, die am wenigsten über seinen Autor offenbart. Von all dem, über das der Schriftsteller Daniel Kehlmann bei seiner ersten Frankfurter Poetikvorlesung gesprochen hat, steckt in dieser Passage über die erste Frankfurter Poetikdozentin ein Hinweis, wie man seinen Vortrag verstehen könnte.

Denn am Dienstagabend ging es im Hörsaalzentrum auf dem Campus Westend um vieles: Nicht nur um Ingeborg Bachmanns Vorlesungen im Jahr 1959, sondern auch darum, was sonst noch in diesem Jahr angesagt war, nämlich Familienentertainer Peter Alexander und der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der Vorbereitungen für die später stattfindenden Auschwitz-Prozesse traf. Kehlmann beschwor sie - gemäß seines Titels "Kommt, Geister" - herauf, sprang in seinem Vortrag zwischen den Protagonisten und Anekdoten, streute einmal sogar eine persönliche ein, doch ließ der Autor, wie sein Vorbild Bachmann, sich selbst sonst außen vor - und auch von einer oder gar seiner Poetik war nicht viel zu hören. Jedenfalls nicht explizit.

Nun könnte man sagen, dass es in dem Vortrag um die deutsche Nachkriegszeit, einerseits um Aufarbeitung von Diktatur, Krieg und Holocaust, andererseits um Verdrängung von all dem gegangen sei. Peter Alexander auf der einen, mit seinen seichten, eskapistischen und dämlichen Filmchen, Fritz Bauer auf der anderen Seite, der Verbrecher zur Verantwortung ziehen wollte. Und mittendrin, irgendwo zwischen Kunst und Politik, lag Ingeborg Bachmann, deren Vater Mitglied der NSDAP gewesen war und sich freiwillig zum Wehrmachtsdienst gemeldet hatte. In dieser Konstellation seiner Protagonisten zeigten sich jedoch implizit die Pole, zwischen denen sich die Literatur wie die Kunst überhaupt bewegt: Zwischen Nützen und Erfreuen; Moralisieren, Belehrung und Unterhaltung, man könnte auch sagen: zwischen der hässlichen Realität und dem schönen Schein der Fiktion.

Kehlmann stellte dar, dass sich bei aller Offensichtlichkeit beides nicht trennen lässt: So aufgesetzt künstlich und fernab jedes Realismus scheint auch in den Filmen Peter Alexanders die Verdrängung durch, wenn etwa "pensionierte Offiziere" durchs Bild laufen, ohne dass das weiter problematisiert wird, der Name "Adler" mit "Adi" abgekürzt wird oder ständig von Morden die Rede ist - wenn damit auch nur Kriminalromane gemeint sind. "Verdrängung ist harte Arbeit", sagte Kehlmann. Die Filme, die für ihn eine "Fratze des Wahnsinns" zeigten, erschienen wie eine "Geisterwelt der Schatten und Echos".

Als Gegenprogramm stellte Kehlmann die Bachmann-Erzählung "Unter Mördern und Irren" vor, in der es in aller Offenheit um Täter und Opfer des Krieges geht und deren Moral, so der Autor, darin bestehe, keine zu haben. So könnte man auch Kehlmanns Poetikvorlesung verstehen. Und wenn es eine Forderung gibt, an der man den Autor festmachen will, so ist es vielleicht diese implizite Absage an den Realismus: "Nichts muss sein, wie es ist."
 
4. Juni 2014, 11.30 Uhr
Lukas Gedziorowski
 
 
Fotogalerie:
{#TEMPLATE_news_einzel_GALERIE_WHILE#}
 
 
 
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
20 Jahre „Kunst privat!“
Private Kunst in Hessens Unternehmen entdecken
Hessische Unternehmen und Institutionen zeigen erneut ihre privaten Kunstsammlungen – auch in Frankfurt. Es werden noch Teilnehmer gesucht.
Text: Jasmin Schülke / Foto: Hessisches Ministerium der Finanzen
 
 
 
 
 
 
 
Ältere Beiträge
 
 
 
 
24. April 2024
Journal Tagestipps
Pop / Rock / Jazz
  • The Notwist
    Schlachthof | 20.00 Uhr
  • Max Clouth und Entelecheia
    Kulturfabrik Milchsack | 20.00 Uhr
  • Cat Power
    Alte Oper | 20.00 Uhr
Klassik / Oper/ Ballett
  • hr-Sinfonieorchester
    Alte Oper | 19.00 Uhr
  • Klavierabend
    Hochschule für Musik und Darstellende Kunst | 19.30 Uhr
  • Tenors di Napoli
    Kurtheater | 19.30 Uhr
Theater / Literatur
  • Elias Hirschl
    Literaturforum im Mousonturm | 19.30 Uhr
  • Katja Riemann
    Literaturhaus Villa Clementine | 19.30 Uhr
  • Disney in Concert – Believe in Magic
    Festhalle | 20.00 Uhr
Kunst
  • Armamentaria
    Römerkastell Saalburg | 09.00 Uhr
  • Anita Esfandiari
    Heussenstamm. Raum für Kunst und Stadt | 14.00 Uhr
  • Anna Goschin und Felicithas Arndt
    Barbara von Stechow | 18.00 Uhr
Kinder
  • Deine Kämpfe – Meine Kämpfe
    Schauspiel Frankfurt | 20.00 Uhr
  • Kannawoniwasein – Manchmal muss man einfach verduften
    Staatstheater Mainz | 10.00 Uhr
  • Schirn Studio. Die Kunstwerkstatt
    Schirn Kunsthalle Frankfurt | 16.00 Uhr
Freie Stellen