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Guerilla mit Nadel und Faden

Graue Stadt im bunten Fadenkreuz

Die Strickguerilla setzt Zeichen in Frankfurt. Ihr Ziel: Die Stadt mit Wollgraffiti zu verschönern. Das JOURNAL FRANKFURT begleitete ein paar Aktivisten bei ihrem Streifzug durch die Stadt.
Frankfurt wird flauschig. Denn so wollen es Aktivisten, die in Nacht- und Nebelaktionen ihre gestrickten Werke über das Stadtgebiet verteilen. Wer schon mal einen Schal gestrickt hat, der weiß, wie viel Liebe, Zeit und Geduld darin stecken kann. Darum verschenkt man seine selbstgemachten Sachen höchstens an besondere Menschen. Die Frankfurter Strickguerilla ist da anders: Sie schenkt ihre Handarbeiten der Stadt. An ungewöhnlichen Orten, etwa an Denkmälern oder Straßenlaternen, manchmal auch an Bäumen, findet man ihre Straßenkunst. Kuschelig weiche Kunstwerke, die sofort ins Auge fallen und ihre Entdecker in Staunen versetzen. Immer mehr solcher Wollgraffiti findet man in der Stadt, an manchen hängt ein „Tag“, ein Stoffetikett mit dem Schriftzug „Strickguerilla.net“. Über diesen Link zu einer Facebookseite nehmen wir mit einigen der Frankfurter Strickaktivisten Kontakt auf. Stricken und Häkeln an sich ist keine Straftat, diese Handarbeitsfreunde jedoch sind öffentlichkeitsscheu. Ihre Werke sollen im Mittelpunkt stehen, nicht ihre Identität. Daher geben sie sich Codenamen: Striktator, Striktik und Striktak.

Vor der Börse treffen wir auf drei der Personen, die bislang wie ein Phantom im Verborgenen agierten. Sie sind Ende zwanzig, die beiden Männer und eine Frau. Mit klischeehaften Stricklieseln haben sie wenig gemein, auch wundert es, dass es männliche Stricker gibt. Striktik etwa kommt aus der Skaterszene. Da die Börse keine Skater mehr am Börsenplatz duldet, freut er sich, am Yarn Bombing Day, der ist Mitte Juni, mal ein „Bombing“ auf der Bullenstatue zu platzieren. Ein kleiner Protest quasi. Konkret heißt das: Das Börsenwahrzeichen muss sich warm anziehen, es bekommt von Striktik gestrickte Hörner aufgesetzt. Mit ein paar schnellen Stichen werden die vorgefertigten Strickhüllen in Form gebracht. Garn, Schals sowie Strick- und Nähnadeln gehören zum Inventar der Strickguerilla. Doch der Spaß währt nicht lange, das Sicherheitspersonal entfernt das „Bombing“ wieder. Doch was sollen diese Bombardements mit Garn?

„Uns geht es darum, den urbanen Raum anders zu betrachten“, verrät die junge Frau namens Striktak und offenbart, dass sich eine richtige Philosophie hinter den Aktionen verbirgt. „Wenn man sich in der Stadt umschaut, dann ist alles grau, steril und austauschbar mit anderen Städten. Wir wollen die Aufmerksamkeit wieder auf Frankfurt richten und die Stadt mit den Aktionen bunter und freundlicher machen, öffentliche Räume gestalten.“ Anders als beim Graffiti handele es sich beim Guerilla Knitting nicht um Sachbeschädigung, die Stadt dulde es. „Wen es stört: Mit einer Schere kriegt man alles ganz schnell wieder weg. Wir wollen niemandem schaden, sondern nur dem grauen Beton in der Stadt etwa Buntes, Weiches entgegensetzen “ Und was macht dabei den Guerillafaktor aus? „Wir nehmen uns das Recht heraus, unsere Umwelt selber zu gestalten und das nicht nur Architekten zu überlassen.“

Guerilla Knitting ist mittlerweile eine weltweite Bewegung, die 2005 in Texas begann. Ob der Bulle an der Wall Street oder auch die roten Telefonzellen in London – seither gibt es nichts, was nicht schon eingestrickt wurde. Jetzt findet man auch in Frankfurt umstrickte Bootsanlegeringe, gehäkelte Blümchen an einer Rödelheimer Brücke oder Bommel an den Bäumen vor dem Museum für Kommunikation. Nicht alle Bombings stammen von der Strickguerilla-Gruppe.

Doch wie kommt’s, dass Männer plötzlich stricken? Striktik erzählt, wie bei ihm und seinen Freunden die „Woll-Lust“ aufkam: „Alles begann mit der Mutter von Striktak“. Also der Mutter der jungen Frau. „Die ist ein altes Hippiemädchen. Sie strickt nicht, weil es Mode ist und auch nicht nur, um die Sachen zu tragen.“ Angespornt durch dasStandardwerk der Szene, dem Buch „Yarn Bombing“ von Mandy Moore und Leanne Prain, begann die Frau ihre Tochter und deren Freundeskreis in die Kunst des Strickens einzuweihen und unterstützt auch weiterhin die Urban-Knitting-Aktionen nach Leibeskräften mit ihrer Fingerfertigkeit. „Ich dachte, das kann doch alles nicht so schwer sein und letztlich haben wir einfach zusammen gestrickt“, erzählt Striktator, den man sich eher in einer Szenebar vorstellen kann als mit Stricknadeln auf der Couch. „Es hat sogar schon Verletzte beim Guerilla Knitting gegeben“, verrät er. „Striktaks Mutter hatte durch die viele Handarbeit eine Sehnenscheidentzündung.“

Wir laufen gemeinsam durch die Stadt und die Strickguerilleros stülpen einem Poller einen Ringelstrumpf über, auch ein Laternenmast wird verschönert. „Mal kucken, wie lange das dranbleibt“, sagt Striktak. „Aber vielleicht strickt noch jemand etwas dran. Der gemeinschaftliche Prozess, das ist doch das Schöne.“ Jeder darf bei der Strickguerilla mitmachen, nur eines ist nicht zu unterschätzen: Man investiert Zeit und Material und am Ende könnte das Bombing weg sein. Striktak nennt das „die Kunst des Loslassens.“

Eine Version dieses Artikels erschien am 7. Juni 2011 im Journal Frankfurt.
 
29. Juni 2011, 11.40 Uhr
Nicole Brevoord
 
 
Fotogalerie: Strickguerilla
 
 
 
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